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Zustandsbild ohne Propaganda

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Kann man Kommunist sein, ohne sich zum Marxismus zu bekennen?. Der vor dreizehn Jahren verstorbene irische Autor Sean O’Casey entwik- kelte sich vom Nationalisten zum Kommunisten, aber der dialektische Materialismus blieb ihm fremd, er setzte den Kommunismus dem Christentum gleich. Wurde da nun die Tragödie „Juno-und der Pfau”, das zweite Stück einer Dubliner Trilogie, das derzeit im Burgtheater aufgeführt wird, zu einem Propagandastück seiner Ideen?

Eine Arbeiterfamilie in der Zweizimmerwohnung eines Dubliner Miethauses, 1922, in der Zeit des irischen Bruderkriegs. Da gibt es den Taugenichts Jack Boyle, das Großmaul, der wie ein Pfau stolziert, sich selbst zum Käptn beförderte und fast stets einen schmarotzenden Saufkumpan „Joxer” Daly mitbringt. Als man ihm eine Stelle anbietet, drückt er sich. Da gibt es den arbeitslosen Sohn Johnny, ein leibliches und seelisches Wrack. Er hat als Freiheitskämpfer einen Arm verloren, nun wollte er sich absetzen, verriet deshalb seinen Freund und wird von den Freischär lern entführt und erschossen. Da gibt es die doppelt enttäuschte Tochter Mary, die der Schullehrer verläßt, als sich die von der Famüie erwartete Erbschaft als Illusion herausstellt. Da sie aber von ihm ein Kind erwartet, heiratet sie auch der sie liebende, karrieresüchtige Gewerkschaftsfunktionär nicht. Nur Juno, die herzensgute Mutter, rackert sich ab, sorgt für das tägliche Brot.

Was ergibt der Einblick? Arbeitsscheu, Schmarotzertum, politischen Verrat, hemmungslosen Egoismus, unmenschliches Verhalten. Alles geht schief. Wo liegt die Ursache? In den sozialen Verhältnissen? Im Bürgerkrieg? Klagt .O’Casey mit Vehemenz an? Etwa wie jüngst noch unsere Progressiven? Nichts davon. Er, der politisch Engagierte, erklärte: „Der Künstler muß draußen stehen.” Er beobachtet mit besonderer Intensität, wie der Bruderkrieg in eine Arbeiterfamilie einbricht, er nimmt die Wirklichkeit, wie sie ist, stellt sie mit meisterlicher Akribie in praller Fülle dar. Es war ihm wohl schmerzlich, daß diese Menschen so und nicht anders sind, obwohl sie anders sein sollten. Und doch liebt er sie, er kann nicht anders, das spürt man. Dichter sind mehr als die Propagandisten der ständigen politischen Weltveränderung.

Regisseur Otto Schenk bietet eine eindrucksvolle Aufführung, allerdings sollte er das Tempo etwas straffen. Eine prachtvolle Gestalt zeichnet Heinz Moog als breitbeinig tappender, sich stets überlegen dünkender Käptn Boyle. Paula Wessely ist ganz die brave, arbeitsame, aber auch energische Frau und Mutter, die von der Familie ausgenützt wird. Gilbert Schuchter überzeugt als Sohn durch hektische Verstörung. Als enttäuschte Tochter müßte Sylvia Lukan etwas naiver wirken. Kurt Sowinetz setzt für die Figur des versezitierenden „Joxer” Daly andeutungsweise pantomimische Mittel ein. Wolfgang Hübsch ist ein allzu geschniegelter Schullehrer. Peter Wolfsberger wirkt glaubhaft als Gewerkschaftsfunktionär, Inge Konradi und Alma Seidler stellen überaus einprägsam zwei Nachbarinnen dar. Der Wohnraum, den Rolf Glittenberg entwarf, entspricht keineswegs einer Mietwohnung in der Vorstadt. Er lenkt von den Stückvorgängen ab.

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