9/11: Boten in der Schusslinie

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Die Anschläge vom 11. September 2001 hatten Folgen für die Medien. Die NZZ analysiert, wie ihre Unabhängigkeit in Gefahr geriet.

Der am 1. November 1996 gestartete katarische Fernsehsender al-Jazira wurde erstmals in der breiteren Weltöffentlichkeit wahrgenommen, als die USA auf die Anschläge vom 11. September 2001 zu reagieren begannen. Der Nachrichtenkanal zeigte als erster Live-Bilder von den amerikanischen Luftangriffen auf Afghanistan im Oktober desselben Jahres.

Da die Taliban nur al-Jazira in ihrem Land duldeten, verfügte der Sender über exklusive Bilder, die entsprechend von den andern Fernsehstationen begehrt wurden. Für Beiträge über den meistgesuchten Terroristen seien Tausende Dollar bezahlt worden, schrieb der ehemalige Journalist und Arabienspezialist Hugh Miles in einer Analyse.

Die Bilder verschafften al-Jazira aber nicht nur Geld, sondern auch Ärger. Die US-Regierung und andere Staaten kritisierten, dass das Nachrichtenfernsehen sich als Sprachrohr der islamistischen Terroristen instrumentalisieren lasse. Dennoch schloss CNN schon damals einen Vertrag mit al-Jazira, um Aufnahmen sechs Stunden vor andern Sendern ausstrahlen zu dürfen.

Gefährliche Jahre für Journalisten

Die Medienjahre nach den Anschlägen auf die USA waren gekennzeichnet durch Tote, Geiselnahmen, Manipulations- und Druckversuche, Landesverweise, einseitige Berichte, konkurrenzbedingte Aufbauschungen, Falschinformationen und Rücktritte. Nach der US-Invasion im Irak im März 2003 kamen dort Dutzende Journalisten und Medienmitarbeiter um. Ein Mitarbeiter des "Wall Street Journal“ wurde von seinen Entführern grausam ermordet; andere Geiselnahmen endeten mit einer Freilassung.

Die "Heimatfront“ blieb nicht verschont. Betroffen waren besonders jene Länder, an deren Spitze die Wortführer der Irak-Invasion standen: die USA und Großbritannien. Unter dem Schock der Terroranschläge verhielten sich vor allem die US-Medien zuerst regierungstreu und gutgläubig. Das Ausbleiben des Erfolgs im Irak stärkte jedoch das Misstrauen gegenüber den Argumenten und Taten der Exekutive.

Skepsis statt Jagd nach Knüllern

Die kritischen Recherchen waren öfters zu wenig stichhaltig, um Vorwürfe aufrechtzuerhalten. In Jahr 2004 mussten der Präsident und der Generaldirektor der BBC gehen, nachdem ein Reporter die Regierung Blair beschuldigt hatte, sie habe Geheimdienstinformationen zu ihren Gunsten zurechtgebogen.

Aufsehen erregte die "New York Times“. In diesem Fall ging es aber nicht um allzu kritische, sondern um allzu unkritische Berichte. Die Zeitung übte 2004 große Selbstkritik, weil sie im Vorfeld des Irak-Kriegs teilweise zu gutgläubig über die Vorwürfe an Saddam Hussein geschrieben habe. In einem Kommentar hieß es, man hätte mehr Skepsis walten lassen sollen, anstatt nach Knüllern zu jagen.

Ein guter Riecher für Unstimmigkeiten genügt nicht für guten Journalismus. Wenn für die politischen und militärischen Akteure viel auf dem Spiel steht und entsprechend der Druck auf die Medien wächst, braucht es umso mehr eine genaue Analyse der Faktenlage, um standhalten zu können.

Die Anschläge vor zehn Jahren verschoben auch die Frontlinien im weltweiten Nachrichtenkrieg. Die westlichen Staaten bauten ihre Informationsangebote für Osteuropa nach dem Ende des Kalten Kriegs weiter ab und investierten vermehrt in Medien, die sich auf den arabischen Raum ausrichteten. Nicht zuletzt ging es um Fernsehsender. Die BBC startete vor drei Jahren einen arabischsprachigen Kanal. Al-Jazira wiederum lancierte eine englische Ausgabe - und findet damit inzwischen auch in den USA Interesse.

* Neue Zürcher Zeitung, 6. September 2011

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