"Es gibt viele Scheingefechte"

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"Wie man nun mit der Kürzung sinnvoller Integrationsmaßnahmen die Integration verbessern möchte, bleibt mir schleierhaft. Das ist nicht kohärent."

Der Soziologe Kenan Güngör spricht über den Unterschied zwischen Integration und Assimilation, "Stimmungsmache", verbindliche, aktivierende Integrationspolitik und erklärt, warum "aufgezwungene Assimilation" problematisch ist.

DIE FURCHE: Herr Güngör, die Regierung hat Kürzungen bei der Integration beschlossen. Was halten Sie davon?

Kenan Güngör: Die Regierungsparteien haben die Wahl auch gewonnen, weil sie von großen Integrationsproblemen sprachen, die sie anpacken wollen. Wie man nun mit der Kürzung sinnvoller Integrationsmaßnahmen die Integration verbessern möchte, bleibt mir schleierhaft. Das erscheint mir nicht kohärent.

DIE FURCHE: Was würden Sie politisch Verantwortlichen im Umgang mit Flüchtlingen raten?

Güngör: Wir müssen Integrationspolitik verbindlicher gestalten, aktivierender werden. Ich habe kein Problem damit, wenn ein gutes Augenmaß zwischen Fördern, Fordern und Verpflichten besteht. Gegenwärtig haben wir aber die Tendenz, nur über Probleme zu reden und dadurch ein stark negativ definiertes Bild zu erzeugen, das der Gesamtrealität nicht entspricht. Ein verzerrtes, destruktives Bild stellt aber wiederum selbst ein integrationspolitisches Problem dar.

DIE FURCHE: Die Regierung schärft im Asylbereich nach. Geht es dabei darum, Menschen abzuschrecken, nach Österreich zu kommen, hier Lebende einzuschüchtern, oder manche Österreicher zufrieden zu stellen?

Güngör: Wohl alles zusammen. Die FPÖ will ihr Klientel bedienen und bedient dafür Emotionen. Es werden viele Scheingefechte geführt. Ich sehe wenig Innovatives, sondern Stimmungsmache; vor allem aber eine sehr oberflächlich ansetzende und mit Symbolik arbeitende Position insbesondere bei der FPÖ. Sie liefert eher einen "Desintegrationsbeitrag", denn ihr Programm zielt nicht auf forcierte Integrationspolitik sondern auf Marginalisierung der zugewanderten Mitbürger hin.

DIE FURCHE: Die Sprache ist ein Werkzeug bzw. ein erster Schritt zur Integration in der Mehrheitsgesellschaft. Welche Phasen durchlaufen Migranten in Österreich?

Güngör: Viele Flüchtlinge fanden zuerst Sicherheit mit einer großen Ungewissheit. Dann erlebten sie, dass ihnen hier vieles fremd ist. Vieles läuft auch nicht so, wie sie es sich zunächst vorgestellt haben, ihre Kompetenzen haben keine Relevanz: Sie können die Sprache nicht, ihre Qualifikationen und Fertigkeiten werden nicht anerkannt. Dann gibt es auch den Kulturschock. Österreich ist sehr formal und bürokratisch verwaltet. Es gibt viele Hürden, Formalismen und Auflagen, die sie nicht kennen und oft auch nicht verstehen. Viele lassen sich auf die neue Umgebung ein und versuchen hier unter schwierigen Bedingungen, ein Leben aufzubauen. Andere hingegen ziehen sich zurück.

DIE FURCHE: Was ist der Unterschied zwischen Integration und Assimilation?

Güngör: Wenn Integration gelingt, gibt es auf struktureller Ebene keine Unterschiede mehr zwischen Einheimischen und Einwanderern -etwa bei Zugang und Aufstiegsmöglichkeiten in den Bereichen Bildung und Arbeit. Assimilation heißt nicht nur Anpassung, sondern will mehr. Nämlich das Ablegen von allem, was ich aus meiner Heimat mitgebracht habe und was mich auch ausmacht. Erfolgreiche Integration kann längerfristig auch zu Assimilation führen. Das an sich ist kein Problem. Problematisch ist Assimilation, wenn sie nicht über die Zeit als natürlicher Prozess stattfindet, sondern als eine verordnete, den Menschen aufgezwungene Assimilation. Diese geht meist mit der Abwertung und Marginalisierung dieser Gruppen einher.

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