Geschmack fürs Unendliche wecken

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"Welt-Natur-Technik" lautet das Motto der Expo 2000 in Hannover. Die deutschen Kirchen sind dabei mehr als präsent.

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"Welt-Natur-Technik" lautet das Motto der Expo 2000 in Hannover. Die deutschen Kirchen sind dabei mehr als präsent.

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Wenn vom 1. Juni bis 31. Oktober 2000 186 Länder und Organisationen in ihren Pavillons auf der Weltausstellung (Expo) in Hannover den 40 Millionen erwarteten Besuchern ihre Interpretationsmodelle zum Thema "Mensch-Natur-Technik: Eine neue Welt entsteht" präsentieren, werden die beiden großen Kirchen Deutschlands nicht fehlen. Für 15 Millionen Mark entsteht auf der zentralen Expo-Plaza der ökumenische Christliche Pavillon.

"Wir wollen Geschmack fürs Unendliche wecken", beschreibt Gerhard Wegner, Leiter des Evangelischen Expo-Büros, mit einem Rückgriff auf den protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher den Sinn des Christlichen Pavillons auf der Weltausstellung. Unter dem Motto "Jesus Christus - gestern, heute und in Ewigkeit" wollen sich die Kirchen in die Diskussion über das Expo-Thema einmischen. "Wir fragen im Christlichen Pavillon nach Gott, dem Sinn des Lebens und der Qualität des Menschlichen im Spannungsfeld von ,Mensch-Natur-Technik"', formuliert der Leiter des Katholischen Expo-Büros, Reinhardt Brandt. Da das Leitthema der Expo einen umfassenden ethischen Anspruch erhebe, der ohne die religiöse Dimension nicht adäquat eingelöst werden könne, gelte es gerade im Jahr 2000, von Christus her Antworten für Gegenwarts- und Zukunftsfragen zu suchen. Moralapostel oder Bußprediger wollen die Kirchen nicht sein, so Brandt und Wegner übereinstimmend, aber "die Lösungsfixiertheit der Expo machen wir nicht mit".

Für Wegner spiegelt sich die inhaltliche Konzeption des Christlichen Pavillons im vom Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner entworfenen Bau wider. Technische und natürliche Elemente zeichnen den in kühler Strenge entworfenen, einem Kloster nachempfundenen Kubus aus. Umgrenzt wird er von einem 3,60 Meter breiten und 7,20 Meter hohen Kreuzgang, der als Wandelhalle dienen soll. Vom Kreuzgang gehen sogenannte Enklaven ab, die als Räume der Stille dienen werden.

Durch die modernen Baumaterialien Stahl und Glas verbinden die Kirchen das Angenehme mit dem Nützlichen. In puncto Architektur und Marketing zeigen sie Innovationsfreudigkeit. Das 15 Millionen Mark teure Expo-Projekt finanzieren die Evangelische Kirche in Deutschland und der Verband der Diözesen Deutschlands nur zur Hälfte. Den anderen Teil übernehmen Sponsoren aus der Glas- und Stahlindustrie, die mit dem Christlichen Pavillon neueste technischen Entwicklungen präsentieren wollen. Als Weltneuheit gilt der "Sigma-Knoten", eine Steckverbindung, die den schnellen Auf- und Abbau des Gebäudes ohne Schrauben und Schweißen ermöglicht, und somit die weitere Verwendung eines Teils des Pavillons nach dem Ende der Expo für das Zisterzienserkloster Volkenroda in Thüringen erleichtert.

Gegen Reizüberflutung Auf der Expo-Plaza - in unmittelbarer Nachbarschaft zum deutschen Pavillon und der für Großveranstaltungen vorgesehenen "Arena" - soll der Christliche Pavillon, so Wegner, "kontemplatives Gegenstück zur Vielgestaltigkeit und Reizüberflutung auf dem übrigen Ausstellungsgelände" sein. Im Innenraum stehen Mensch und Glaube im Mittelpunkt. Ein romanischer Taufstein und ein frühmittelalterliches Kreuz verweisen auf den Grundkonsens in Glaubensfragen: Die Kirchen wollen auf der Expo das Gemeinsame des christlichen Glaubens vorstellen. Wegner betont jedoch, daß es sich um "ein ökumenisches Projekt in einer schwierigen ökumenischen Zeit" handle.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten sollen im liturgischen Angebot deutlich werden, das stündlich Andachten, an Samstagen und Sonntagen evangelische, katholische und ökumenische Gottesdienste umfaßt. Der Pavillon ist zwar "die Expo-Kirche", dient aber auch für Podiumsdiskussionen und Konzerte: "Berührungen" heißen die Abendveranstaltungen, die Spritualität erlebbar machen und den Reichtum der christlichen Tradition demonstrieren wollen. Ein anspruchsvolles, speziell für den Christus-Pavillon entwickeltes Musik- und Gesprächsprogramm mit internationalen Stars werden die Kirchen präsentieren, das von Gospel über Rock, von traditioneller Chormusik bis zu experimenteller Performance reicht. Auftritte zugesagt haben bereits Andre Heller, die Soulsängerin Inga Rumpf, das Hillard-Ensemble, der Schriftsteller Walter Jens sowie Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu: Der anglikanische Alterzbischof von Kapstadt ist auch Gast des "Tages der Christlichen Kirchen" am Pfingstsonntag 2000 der auf der zentralen Expo-Plaza unter anderem mit einem etwa 2.500köpfigen Gospel-Chor - gefeiert wird.

Zudem wollen die Kirchen für die rund 10.000 hauptamtlichen Expo-Mitarbeiter ein ökumenisches und internationales Seelsorgezentrum einrichten. Außerhalb des Expo-Geländes wird in deutschlandweit 60 Projekten - vom Jugendcamp in Hildesheim über den Dom zu Speyer bis zu Umweltschutzprojekten in Sachsen-Anhalt - kirchliche und diakonische Arbeit vorgestellt.

Religiöse Gegenwarts- und Zukunftsdeutung bietet nicht allein der Christliche Pavillon. Vor allem jugendliche Besucher hat der evangelikale "Pavillon der Hoffnung" im Blick. Die christliche Tradition ihrer Länder wollen Äthiopien und Polen vorstellen. Der Heilige Stuhl ist als völkerrechtlich anerkannter Staat offizieller Teilnehmer mit einem eigenen Pavillon.

Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland nimmt an der Expo teil, denn "wir wollen nicht, daß der Islam als Teil der Weltkultur auf der Expo fehlt. Technik ist eine Herausforderung für alle Religionen und Zivilisationen", erklärt der Vorsitzende des Zentralrats, Dr. Nadeem Elias. Dieser Herausforderung wollen sich die Muslime mit einem Islam-Pavillon stellen.

Kreuz überragt Expo Die fernöstlichen Religionen werden ebenfalls auf der Expo präsent sein: Das Königreich Bhutan wird einen buddhistischen Tempel errichten, Nepal einen Bau vorstellen, der Buddhismus und Hinduismus vereint. In fünf Veranstaltungen zum "Diskurs der Weltreligionen" werden Repräsentanten des Buddhismus, des Hinduismus, des Islam, des Judentums und des Christentums über das Leitthema der Weltausstellung diskutieren.

Trotz interreligiöser Gesprächsbereitschaft haben die Kirchen jüngst ein christliches Zeichen gesetzt. Statt eines Richtfestes gab es am 1. Dezember eine "Kreuzesaufstellung". Gemeinsam errichteten die neue evangelische Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, und ihr katholischer Hildesheimer Kollege Josef Homeyer im Rahmen eines ökumenischen Open-Air-Gottesdienstes ein 27 Meter hohes Stahlkreuz. Es wird weit sichtbar die Expo überragen und, wie Bischöfin Käßmann es im Segensgebet formulierte, ein Wegweiser zu Gott sein, "der Christen über alle Konfessionen hinweg miteinander verbindet."

Informationen: Internet: www.expo-kirche.deInfo-Line (Tel.): 0049-511-1241-2000

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