Die Wirklichkeit ist nicht genug

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Die Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover: Gigantismus um Mensch, Natur & Technik

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Die Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover: Gigantismus um Mensch, Natur & Technik

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Eine neue Welt entsteht", ist der vollmundige Leitsatz und Untertitel des Ausblicks ins 21. Jahrhundert, den uns diese erste Weltausstellung auf deutschem Boden bieten will. In dem Bemühen, die Tore zum Gigantischen zu öffnen, zeigt sich auf durchaus sehenswerte Weise das, momentan technisch in dieser Art und Form der Präsentation, Mögliche.

Die Schöpfungsgeschichte muss dennoch nicht umgeschrieben werden. Denn im EXPO-Zauberreich der Illusionen und Sinnesberauschung, das uns ja bereits durch die Show-Magier aus den USA vielfach bekannt ist, gibt es kein Überleben. Das Aufwachen, der Kater, das Morgen kommt immer in der Realität.

Diese EXPO ist - und das mag durchaus in der Natur der Sache liegen - eine Olympiade des Übertrumpfens auf gesellschaftlichem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Höher, tiefer, weiter, eindringlicher und ähnliches mehr. Mit der Wirklichkeit ist kein auskommen mehr. Inszenierungen müssen her. Mit Showcharakter und nicht in wirklich messbaren Disziplinen. Das Honigbrot jeder teilnehmenden Nation oder Organisation. Ihr Engels-Antlitz sozusagen.

Eine Reizflut, ein wahrer Bilderorkan. Videofilme, Computerbildschirme, dreidimensionale Installationen und gigantische Leinwände erwarten die Besucher. Die Organisatoren sprechen stolz von der "bisher größten Weltausstellung mit mehr als 190 internationalen Teilnehmerländern und Organisationen, die sich auf 1,7 Millionen Quadratmetern mit ihren eindrucksvollen Pavillons präsentieren".

Ist das schon wahre Größe? Beim Presse-Rundgang wenige Tage vor der Eröffnung am 1. Juni ist dem Bemühen unserer deutschen Nachbarn, die sich die EXPO im Gegensatz zu Wien natürlich zutrauen, Anerkennung zu zollen. Zig Milliarden Schilling wurden in die Infrastruktur der Stadt und das Jahrhundertvorhaben gesteckt.

Die Weltausstellung, Hannover, ja Niedersachsen generell ist - wie übrigens viele Teile Deutschlands, die uns Österreichern viel zu wenig bekannt sind - eine Reise wert. Es mag sein, dass uns hier die "Straße in die Zukunft" gepflastert wird, doch ich nehme danach wieder gern die Ausfahrt in die Gegenwart.

EXPO im Jahr 2000: Internationale Architektur im Wettstreit. Die Begegnung der Nationen und Kulturen auf engem Raum. Ein Maskottchen namens Twipsy, das wie das Opfer einer Gen-manipulierten Turbokuh aussieht. Weltweite Projekte der Völkerverständigung. Der letzte Schrei der Technik.

Ist das die neue Welt, in die wir alle wollen? Im Themenpark Gesundheit eröffnet eine Rundumprojektion zum Abschluss, dass 2030 Rauchen weltweit die Todesursache Nummer eins sein wird. Das freilich in sich sanft in Liegeposition bewegenden Sitzgelegenheiten "genossen". Macht es nicht verdrossen, wie die Menschheit sehenden Auges in die Katastrophe steuert und selbst eine EXPO keine bessere Hoffnungsperspektive anbieten kann?

Nicht nur Japan sorgt mit dem vom Stararchitekten Shigeru Ban konzipierten Pavillon, dessen tragende Elemente fast durchwegs aus Altpapier hergestellt wurden, für die Verwirklichung der EXPO-Zielsetzung der Nachhaltigkeit. Auch die Schweiz hat ihre Holz-Klangwelt wiederverwertbar angelegt. Der Grüne Punkt (die Altstoffverwertungsgesellschaft in der Bundesrepublik) spricht von der saubersten Weltausstellung aller Zeiten. Was für die 153 EXPO-Öffnungstage hoffentlich gilt. Beim Rundgang vor der Eröffnung war ich enttäuscht, Holz, Pappe, Styropor und Plastik stets vermischt in großen Containern auf der Großbaustelle vorzufinden.

Solche Eindrücke konterkarieren die Vollmundigkeit der Versprechungen. Natürlich entsteht in Hannover keine neue Welt. Doch es kommt zu einem fairen Wettbewerb der Ideen, wie Mensch, Natur und Technik in Zukunft zusammenwirken werden. Unterm Strich ist es kaum Entzücken, das einen befällt. Nach dieser Reizorgie sehnt man sich nach einer klaren Botschaft. Einem Satz wie "Ich liebe Dich", oder einer zärtlichen Massage. Nach Menschen und Berührung.

Die Österreich-Besucher der Zukunft werden offensichtlich mit Georg Riha und seiner Kamera das Land hauptsächlich aus der Vogelperspektive im Zeppelin erkunden. Diese macht nämlich der 250 Millionen Schilling teure Österreich-Stand und -Auftritt bei der EXPO bildlich oppulent schmackhaft. Wohlig: Es gibt ledergepolsterte Sitz- und Liegeinseln, auf denen sich die geschlauchten EXPOnautInnen (meine Wortschöpfung für alle, die um weniger als 500 Schilling Eintrittsgeld pro Tag in die neue Welt schnuppern wollen) von den Rundgang-Strapazen erholen können. Und vielleicht von unserer Insel der Seligen - oder sind wir die auch touristisch nicht mehr, wir gehören ja zumindest zahlungsmäßig zur EU - träumen können.

Während die EXPO-Eingänge mit Schleusen und modernster Sicherheitstechnik ausgerüstet sind - bei erhofften 40 Millionen Besuchern ein Muss der alten Welt -, begrüßen beim Eingang von Indiens-Pavillon gefaltete Hände zum traditionellen Gruß des Göttlichen in Dir.

Dieses zu entdecken, zu pflegen und diesem Göttlichen zu begegnen, dazu lädt auch der Christus-Pavillon ein. Eine ökumenische Kloster-Miniatur als "Seele der EXPO". Eine schlichte Oase mit Kreuzgang und Sakralraum für christliche Begegnung, Besinnung und Mess-Feiern. Die Kirche der EXPO wird danach im thüringischen Kloster Volkenroda wieder aufgebaut. Nachhaltigkeit im Heiligen Jahr.

Die Zukunftsperspektive für die Jugend soll sich im "Pavillon der Hoffnung" finden lassen, für den seine Träger, der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM), World Vision und die Deutsche Evangelische Allianz die Form eines gläsernen Wals gewählt haben. Der originelle Bau wurde zum Wahrzeichen der EXPO gekürt. Von erbaulichen 87 Prozent von 250.000 Anrufern. Die Jugend ist hier mit ihren Hoffnungen, Träumen und Ängsten willkommen.

Die Erde wird hoffentlich auch nach dieser EXPO für alle Astronauten vom Weltall aus einladend und einzigartig, mit viel Blau und Grün, Wasser und Natur, aussehen. Für uns sechs Milliarden Erdenbewohner ein möglichst friedlicher Ort des Miteinander sein. Daran werden erhoffte 40 Millionen EXPOnautInnen von Hannover nichts ändern.

EXPO-Hannover 1. Juni bis 31. Oktober 2000 Eintrittspreise, Veranstaltungen, Hotels unter www.expo2000.de Über den Österreich-Beitrag: www.expo2000.at Städtereisen & Angebote: www.railtours.at

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