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Gefühle, die sich in Gesichtsausdrücken spiegeln, sind auf der ganzen Welt gleich. Darwin vertrat diese Idee als Erster. Die moderne Psychologie bestätigt heute die Idee vom universellen Charakter mancher Emotionen.

"Wenn ein Mensch über irgendeinen Gegenstand tief nachdenkt oder ein Rätsel zu lösen versucht, runzelt er die Stirn?" / "Wird das Erstaunen dadurch ausgedrückt, dass die Augen und der Mund weit geöffnet und die Augenbrauen in die Höhe gezogen sind?" / "Wenn Kinder mürrisch oder eigensinnig sind, lassen sie dann den Mund hängen oder strecken sie die Lippen aus?" Mit diesen und ähnlichen Fragen wandte sich Charles Darwin 1867 in Briefen an Missionare, Naturforscher und Kolonialherren. Die insgesamt 36 Antworten, die aus ganz verschiedenen Erdteilen - Feuerland, Borneo, China, Neuseeland etc. - zurückkamen, freuten Darwin. Denn es zeigte sich, dass die menschliche Mimik auf der ganzen Welt von "merkwürdiger Gleichförmigkeit" ist. Darwin publizierte das Ergebnis in der Schrift "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren" (1872). Darin betonte er auch, dass diese Erkenntnis "als ein Beweis für die große Ähnlichkeit aller Menschenrassen im Bau des Körpers und in den geistigen Anlagen schon an sich interessant" sei. (Zum politischen Gehalt von Darwins Wissenschaft siehe Buchtipp unten).

Die Psychologie entdeckt Darwin

Obwohl sich Darwins Arbeit zunächst sehr gut verkaufte, geriet sie bald in Vergessenheit. 1967, exakt 100 Jahre nachdem Darwin seine Fragebögen quer über den Globus versandt hatte, machte sich Paul Ekman, ein junger US-Psychologe, selbst in eine entlegene Weltgegend auf: Im südöstlichen Bergland von Neuguinea wollte er die Kultur der Fore studieren - und Darwins These des universellen Charakters der Gefühlsausdrücke abermals testen. Ekman hatte bereits erste Untersuchungen gemacht. Unter anderem hatte er Japanern Fotos von Gesichtern weißer Amerikaner vorgelegt. Diese erkannten - zu seiner eigenen Überraschung -, welcher Gesichtsausdruck für welches Gefühl steht. Die Fachwelt reagierte auf das Resultat mit großer Skepsis, wie Ekman in seinem lesenswerten Buch "Gefühle lesen" ausführt, in dem er rund 40 Jahre Forschungsarbeit resümiert. Demnach waren fast alle Anthropologen der damaligen Zeit der Überzeugung, dass nicht nur Gestik, sondern auch Mimik sozial erlernt und von Kultur zu Kultur verschieden sei. Die Japaner hätten - so ein mögliches Gegenargument - die Mimik lesen können, weil sie Kinofilme mit John Wayne oder Charlie Chaplin kannten.

Ekman benötigte für einen zwingenden Beweis eine isolierte Kultur und fand sie im Hochland von Papua-Neuguinea. Wie sich in der Folge zeigte, konnten die Fore tatsächlich die Gefühle der ihnen unbekannten Weißen richtig aus dem Gesichtsausdruck ableiten. Für Ekman destillierten sich aus den Versuchen sechs (oder sieben) Basisemotionen heraus, die er für universell erachtete: Freude, Wut, Ekel, Furcht, Traurigkeit und Überraschung (die siebte Basisemotion wäre: Verachtung).

Angeborene Emotionen

Über die Jahre wurden seine Experimente von verschiedenen Forschern in mehr als 20 Kulturen im Großen und Ganzen bestätigt. Die interkulturelle Universalität dieser Emotionen ist ein starker Hinweis dafür, dass die Mechanismen, die die Gefühlsausdrücke auslösen, eine biologische Wurzel haben. "Es gibt heute genügend empirische Evidenz für die biologische Basis von Gefühlen. Dazu zählen interkulturelle Untersuchungen wie jene von Ekman, aber auch Beobachtungen zur ontogenetischen Entwicklung: Bereits Säuglinge und kleine Kinder können Gefühle aus dem Gesichtsausdruck der Mutter ablesen", betont Eva Bänninger-Huber, Psychologie-Professorin an der Universität Innsbruck.

Wozu universelle Mimik?

Wenn bestimmte Mimiken tatsächlich angeboren sind und jeweils weitervererbt werden, stellt sich die Frage nach deren evolutionärem Nutzen. Kleine Kinder etwa sind mit vielen unbekannten Dingen in einer für sie neuen Welt konfrontiert. Der Blick auf das Gesicht der Mutter könnte da wichtige Informationen liefern, ob eine bestimmte Situation bedrohlich (Furcht) oder erfreulich (Freude) ist.

"Ekman hat diese kommunikative Funktion der Gesichtsausdrücke hervorgehoben und sich dabei auch auf Darwin berufen", erklärt Prof. Rainer Reisenzein, Emotionsforscher an der Universität Greifswald, und meint weiters: "Darwin hat aber eigentlich eher den individuellen Vorteil für den Organismus hervorgehoben." Ein Beispiel bei Darwin ist: Wenn der Mensch überrascht ist, sodann große Augen macht, dann deshalb, weil er auf diese Weise schnell die Situation nochmals prüfen kann. Die Frage, ob die Gesichtsausdrücke nun die Kommunikation in der Gruppe vereinfachen (Ekman) oder aber einen Vorteil für das Individuum (Darwin) darstellen, muss letztlich auch nicht einseitig entschieden werden - beides ist möglich und beides bietet einen evolutionären Nutzen.

Eine viel größere Herausforderung stellt ein schlüssiges Verständnis der Gesichtsausdrücke im Rahmen einer Theorie der Emotionen dar. Ekman stellt sich die Basisemotionen als separate Module vor, wobei die korrelierenden neurobiologischen Schaltkreise gerade erst erforscht werden. Die Module sollen dabei nach folgendem Schema funktionieren: Auf einen bestimmten Input - zum Beispiel ein überraschendes Ereignis - folgt als Output ein bestimmter Gesichtsausdruck, etwa ein Fragezeichen im Gesicht. Allerdings, meint Ekman, kann das Outputsignal noch willentlich beeinflusst werden: Menschen können ihre Gefühle kontrollieren, das heißt: abschwächen, verbergen oder überspielen. Aber die Spuren bleiben letztlich dennoch oft erkennbar, speziell für jene, die geübt sind, Gefühle im Gesicht zu lesen. So intuitiv einleuchtend Ekmans Emotionstheorie auch klingen mag, Reisenzein bezweifelt, dass sie im Allgemeinen richtig ist - aus guten Gründen: In einem Experiment brachte er 220 Probanden in eine überraschende Situation. Dabei zeigten nur elf Prozent zumindest ein Zeichen eines überraschten Gesichtsausdrucks wie das Heben der Augenbrauen. Haben die Versuchspersonen ihre Überraschung einfach unterdrückt? "Menschen verbergen manchmal ihre Gefühle in Gegenwart anderer Personen. Wir haben deshalb Versuche in Gegenwart oder Abwesenheit anderer Personen gemacht, konnten jedoch keine Unterschiede in der Häufigkeit des Überraschungsausdrucks feststellen", sagt Reisenzein und fährt fort: "Wir glauben deshalb, dass die Gefühle und Gesichtsausdrücke weit weniger eng aneinandergekoppelt sind, als das Ekman vermutet hat." Kurzum: Der Mensch ist vielleicht doch flexibler in seiner mimischen Ausdrucksweise, was sich wiederum im Rahmen einer evolutionären Betrachtung erklären lässt. Dazu Reisenzein: "Bei Verhandlungen mag es ein großer Vorteil sein, nicht überrascht zu erscheinen. In anderen Situationen mag es dagegen wieder nützlich sein, einem anderen seine Überraschung zu zeigen."

Idealtypische und Echtzeit-Mimik

"Die idealtypischen Gesichtsausdrücke auf Ekmans Bildern kommen in der Realität kaum vor", meint schließlich Bänninger-Huber. Auch weil sie überzeugt ist, dass sich viele Gefühle erst aus dem Kontext erschließen lassen, analysiert sie mit der Videokamera reale Interaktionen. Gerade bei Paaren, die sich gut kennen, hat die Professorin immer wieder verblüffende, weil treffende Analysen gehört - wie etwa: "So ein Gesicht macht mein Partner, wenn ich nach Hause komme, er nicht mehr nach draußen gehen möchte und weiß, dass ich ihn danach frage."

Eine umfassende Theorie, die solch komplexe Gefühlsausdrücke mit den einfachen Basisemotionen in Einklang bringt, wird es so schnell wohl nicht geben.

Gefühle lesen

Von Paul Ekman

Spektrum Verlag, Heidelberg 2007.

363 Seiten, kart., E 14,40

P. Ekman ist einer der großen Psychologen des 20. Jahrhunderts. In seinem leicht verständlichen Buch "Gefühle lesen" legt er die von ihm gewonnenen Einsichten dar, die eines deutlich machen: Eine Theorie der Emotionen muss auch biologische Erkenntnisse mit einbeziehen.

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