Weder linke noch konservative Katholikin

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Ida Friederike Görres zählt zu den großen Katholikinnen des 20. Jahrhunderts. Um ihre Person ist es still geworden. Umso wichtiger, sie aufs Neue zu entdecken.

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Ida Friederike Görres zählt zu den großen Katholikinnen des 20. Jahrhunderts. Um ihre Person ist es still geworden. Umso wichtiger, sie aufs Neue zu entdecken.

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Ihr "Brief an die Kirche" wurde als Programmschrift der sich formierenden sogenannten Linkskatholiken (miß)verstanden. So wie sie sich auch nicht von rechts vereinnahmen lassen wollte: Ida Friederike Görres - die streitbare "Kirchenfrau", begnadete Autodidaktin, "Laien-Theologin" und Schriftstellerin. Zeit ihres Lebens war ihr die Erneuerung der Kirche ein Anliegen.

Ihr Leben verweigert sich dem Etikettendenken. Ida Friederike Görres, geborene Reichsgräfin Coudenhove-Kalergie (1910-71), paßt einfach nicht in Klischees: "Progressiv" soll sie gewesen sein, zunächst, und dann plötzlich "eine Konservative", die mit den Veränderungen im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht zurechtgekommen sei. Kein Zweifel: Angepaßt war sie nie, eigenwillig und unbequem immer, teils Mahnerin, teils Prophetin, "im Zweifelsfall bewahrend" und doch stets klar vor Augen habend, daß Kirche immer "Kirche im Umbruch" sein müsse. Eine "unzeitgemäß-zeitgemäße Kirchlichkeit" (Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz) begegnet in dieser engagierten Frau, die keine Feministin im heutigen Sinn war.

Es ist still geworden um sie. Ihr Einfluß auf das moderne Kirchenbild wird in der kirchlichen Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen. Eine Studie von Anna Findl-Ludescher (siehe Buchtip) könnte dem Vergessen entgegenwirken.

Paradies Böhmerwald Die kleine Adelige wächst auf Schloß Ronsperg in Böhmen auf, behütet und elitär. Der Böhmerwald bleibt lebenslang ihr Paradies. Mit elf kommt sie ins Internat, zuerst in Preßbaum (Sacre-CÏur), dann in Sankt Pölten (Mary-Ward-Schule), wo "das religiöse Erwachen" einsetzt. 1923 ist sie im Noviziat der Mary-Ward-Schwestern anzutreffen, eine Überraschung für alle Gefährtinnen und Gefährten aus dem "Bund Neuland", in dem sie stark engagiert ist. Sie verläßt den Orden jedoch - auf eigenen Wunsch.

Zwei Jahre lang studiert sie Staatswissenschaften in Wien. 1927 geht sie nach Freiburg im Breisgau und erhält an der "Sozialen Frauenschule" eine berufsbezogene Ausbildung. Anschließend studiert sie dort noch zwei Jahre an der Universität: Lehrveranstaltungen aus Geschichte, Kirchengeschichte und Theologie. Während dieser Zeit legt sie zwei Gelübde ab: sich in den Dienst der Kirche zu stellen und ehelos zu bleiben. Damals lernt sie Romano Guardini ("ein Eiszapfen") kennen und besucht Jugendtagungen auf Burg Rothenfels. Fasziniert von "der männlichen Lebensart", einem Charakteristikum dieser Zeit, überrascht es nicht, wenn sie sich durch die Anrede eines alten Franziskaners geschmeichelt fühlt: "Bruder Ida".

1931 übersiedelt Ida Coudenhouve-Kalergi als Seelsorgehelferin ins Bistum Meißen im Osten Deutschlands. Schriftstellerisch wird sie äußerst produktiv. Sie befaßt sich mit Heiligen, gelangt von ihnen zu Überlegungen einer christlichen Lebensform für ihre Zeit. Ihren Heiligenbiographien attestiert Walter Nigg, der große protestantische Hagiograph, später, in ihnen sei "der Durchbruch zur neuen Hagiographie" gelungen, weg von "süßlichen Klischees".

Brief an die Kirche 1935 heiratet sie, nachdem sie vom Bischof die Dispens von ihrem Privatgelübde erbeten hat, den Berliner Fabriksdirektor Carl-Josef Görres. Die Ehe bleibt kinderlos. Bei Kriegsbeginn übersiedelt das Ehepaar nach Stuttgart. Carl-Josef ist unabkömmlich gestellt, Ida arbeitet schriftstellerisch, hält Vorträge in Pfarreien. Über Politik und den Krieg äußert sie sich (fast) gar nicht. Seit August 1943 bieten die Görres einer Jüdin Unterschlupf, die 1944 allerdings nach Theresienstadt deportiert wird. Mitten im Krieg, 1943, erscheint ihr 500-Seiten-Buch über Therese von Lisieux "Das verborgene Antlitz", das sieben Auflagen erlebt.

Zwiespältige Berühmtheit erlangt sie 1946 mit ihrem "Brief an die Kirche". Ida Görres beklagt in ihrem fiktiven Schreiben an einen nichtkatholischen Akademiker verschiedene Mißstände im Klerus: Zölibat, bürgerlicher Lebensstil, theologisches Niveau. An ihrer grundsätzlichen Wertschätzung Priestern gegenüber läßt sie zwar keinen Zweifel. Doch das wird ebenso wenig gesehen wie eine achtseitige Hymne an die Kirche, mit welcher der "Brief" endet.

Die Männer in der Kirche schießen sich auf sie ein. Der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber, reagiert mit einem Antwortbrief, in welchem er die Priester verteidigt ("Woher wissen Sie, daß es so wenig fromme Priester gibt?"), die in der NS-Zeit so viel gelitten hätten. Immer häufiger zwängen Laien Priester zu Neuerungen liturgischer und anderer Art. Sogar Papst Pius XII. nimmt in einer öffentlichen Audienz auf "diese Stimme nördlich der Alpen" Bezug. All das kostet Ida Görres Sympathien: Die "linken Frommen" sind enttäuscht, weil die Auseinandersetzung nicht zu einer wirklichen Debatte um den Zustand der Kirche führt. Die eher traditionell eingestellten Katholiken bezichtigen sie der Nestbeschmutzung.

Ungebrochen hält sie Vorträge, spricht im Rundfunk und gibt Konvertitenunterricht. Daß sie dabei oft sehr einfach sprechen muß, schmerzt sie. Doch dahinter steht eine Grundentscheidung: "Wenn Hungersnot ist, haben die Menschen mehr von Kartoffeln als von Orchideen, trotzdem man sich freut, wenn es trotzdem noch ein paar Leute gibt, die Orchideen züchten." Anfang 1950 erkrankt Ida Görres schwer: Arthritis und Gehirnspasmen. Jahrelang ist sie bettlägrig. Erst ab 1963 bezeichnet sie sich selbst als nicht mehr krank.

In den fünfziger Jahren ist sie "erneuerungswillig und zugleich leidenschaftlich der Tradition verpflichtet." Ihre Krankheit führt sie zur Einsicht, daß es "Wahrheiten der ersten und zweiten Lebenshälfte" gibt. Im November 1970 erhält sie den Ruf der Deutschen Bischofskonferenz, an der Würzburger Synode (1971/75) mitzuarbeiten. In den Kommissionen ist sie "mehr bestürzt als angenehm überrascht". Manches Vorpreschen von Frauen erscheint ihr als "unproportional". Die Synodalin erlebt militante Konflikte. Sie fühlt sich isoliert, erschreckt vor den Forderungen der "Progressisten". Im Anschluß an eine Debatte zu ihrem Statement zur Sonntagsheiligung erleidet Ida Görres am 14. Mai 1971 Gehirnspasmen, an deren Folgen sie tags darauf stirbt.

"Laien-Theologin" Ida Görres war "Laien-Theologin": eine nicht "mit akademischem Titel besiegelte theologische Fachfrau", jedoch "mit profunden theologischen Kenntnissen" ausgestattet. Anstatt wissenschaftlich systematischen Ansprüchen zu genügen, geht es ihr um das, was für die jeweilige Lebenssituation relevant ist. "Lebensrelevant" und "lebensnah" sind sowohl Inhalt wie Sprache ihrer Arbeit. Ida Görres "spricht", wenn sie schreibt. Ihr Instinkt ist ihr der verläßlichere Ratgeber als der Intellekt. Ihre Kirchenschriften sind größtenteils literarische Skizzen. Ida Görres wählt zumeist die Form eines Briefes oder eines Gesprächs. Es kommt ihr auf den gelebten Glauben im Alltag an, auf eine zeitgemäße Laienspiritualität. Ihre lange Krankheit hat Ida Görres viel über Reifungsphasen in der Kirche nachdenken lassen, über "Abbruch" und "Denkmalschutz". Als leidenschaftliche Historikerin wollte sie Lebendiges aus der Tradition nutzbar machen fürs Heute.

Die Kirche war ihr Heimat geworden. Und immer wieder auch fremd geblieben. Lebenslang selbst auf der Suche nach Heimat, nach dem verlorenen Paradies (des Böhmerwalds), schätzte sie Rituale und Feiern bzw. deren Symbolträchtigkeit und vermißte sie nach dem Konzil schmerzlich.

Es lohnt sich, Ida Friederike Görres (wieder) zu entdecken.

Buchtip Stützen kann nur, was widersteht. Ida Friederike Görres - ihr Leben und ihre Kirchenschriften.

Von Anna Findl-Ludescher. Verlag Tyrolia (Salzburger Theologische Schriften, Bd. 9), Innsbruck 1999. 327 Seiten, brosch., ös 420,-/e 30,52

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