Prophetisches, lautschweigendes Zeichen

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Es gibt Zeitzeugnisse, deren Aktualität mit dem Alter zunimmt. Dies sind nicht selten jene, von denen zu ihrer Entstehungszeit kaum Notiz genommen wird. Dazu zählt ein Band mit Briefen der katholischen Publizistin Ida Friederike Görres an den Benediktiner P. Paulus Gordan.

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Es gibt Zeitzeugnisse, deren Aktualität mit dem Alter zunimmt. Dies sind nicht selten jene, von denen zu ihrer Entstehungszeit kaum Notiz genommen wird. Dazu zählt ein Band mit Briefen der katholischen Publizistin Ida Friederike Görres an den Benediktiner P. Paulus Gordan.

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Vordergründig geht es in den Briefen von Ida Friederike Görres (1901-1971) um den Austausch ihrer Beobachtungen zur zeitgenössischen Kirche mit dem Beuroner Benediktiner P. Paulus Gordan (1912-1999) während und in den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) bzw. die gesellschaftlichen Umbrüche nach 1968. Doch im Grunde wird darin viel Umfassenderes abgehandelt. Beide Briefparter haben zwei Weltkriege erlebt, Aufbrüche in der Kirche in den 1920er- und 1930er-Jahren, die Nazi-Dikatur; allein dadurch verfügen sie über einen geschärften Blick für Tragfähiges bzw. Abgründig-Bodenloses.

Vor allem wird durch Görres' Briefe das Mysterium der Kirche deutlich, als jener "Phönix, der schon manche Tode gestorben ist". Dabei zeigt sie die Unerlässlichkeit der komplementären Elemente von Tradition und Prophetie bzw. der Balance zwischen Ich und Wir. Dies wird etwa deutlich, wenn sie in Bezug auf den Konvertitenunterricht bemerkt: "Ach, ich glaube Ihre Hemmungen zu begreifen. Aus den gleichen (Gründen) wage ich mich ja nicht mehr an Konvertitenunterricht heran Ich meine, wie soll ichs ausdrücken? Nicht eigentlich eine neue Sprache braucht man, sondern die alten Wörter müssen von innen leuchten -sie werden ja meist nur wie unangezündete Kerzen herum-und weitergereicht und was hat man in der Finsternis davon? Aber damit sie von innen aufglühen, müsste man ein erschreckliches Stück Eigenst-Innerstes hineinzugiessen wagen. Und vor der Entblössung und Preisgabe hat man Angst."

"Pneumatische Intuivität"

Görres "pneumatische Intuitivität" wird auch deutlich, wenn sie am Tag der Unschuldigen Kinder (28. Dezember 1966) beiläufig bemerkt: "Ich glaub ja sehr an heimliche verborgene 'Ausbalancierungen' - zb dass gerade Leut wie wir, die ums Leben gern Kinder, viele Kinder gehabt hätten, kinderlos bleiben mussten als 'Gegengewicht' gegen die Vielen, die sie umbringen und verhindern."

Allein diese Passagen zeigen, dass es in diesen Briefen keineswegs nur um kirchen-oder gesellschaftspolitische Themen geht, sondern um eine Vielfalt zentraler anthropologischer Fragestellungen.

In luzider Diagnose verweist sie auf eine forcierte Tendenz zum "Subjektivistischen" - gerade auch im Bereich des Kirchlichen: "Ich fürchte, als unverbesserliche 'Pendelwesen' schlägt man heute ebenso unmässig nach der subjektiven Berücksichtigung allein aus wie früher, bis zur Grausamkeit, nach der objektiven." An anderer Stelle konstatiert sie einen analogen Umschlag -dessen Aktualität problemlos in unsere heutige Zeit transferiert werden kann -im Bereich psychischer Defizite mit den Worten: "Mein Schwager Albert Görres sagte mir, seine erwachsenen Patienten hätten ihre Neurosen noch meist aus 'Autoritätsschäden', häuslicher Tyrannei etc., die ganz jungen umgekehrt aus dem Mangel jeder straffenden, schützenden, leitenden Autorität, aus der viel zu frühen Überforderung durch ständiges Ausgeliefertsein an die eigene Willkür und Laune, mit der sie ja nicht allein fertigwerden können Und dies scheint mir, äussert sich nun allmählich en gros, am ganzen 'Sozialkörper'. Ich begreife SOOO gut, dass diesen Jungen allmählich jede Diktatur willkommener wäre, die sie streng in Pflicht nimmt, als dies allgemein quallige Herumwabern ohne Ziel und Zweck, das Chaos der unbeschränkten Privat-Egoismen."

Wider falsche Harmonisierung

Die folgende Sequenz zeigt nicht nur, dass die beiden Korrespondenzpartner mitunter durchaus unterschiedlicher Meinung sind, sondern auch, dass Görres jenes Prinzip des "Einzelnen" ins Treffen führt, das Ratzinger zur selben Zeit in seiner "Einführung in das Christentum" als spezifisches Strukturelement des Christlichen darlegt. "Ich habe ja schon wieder - wenn auch durchaus un-spontan, beinahe erpresst, was über den Zölibat geschrieben Das werden Sie trotz Ihrer anderen Meinung ja nicht verübeln, es muss jeder according to his lights arbeiten!"

Apropos Joseph Ratzinger: In diesem erkennt sie einen neu auftauchenden theologischen Leitstern. Im Brief vom 28. November 1968 schreibt Görres in unverhohlenem Jubelton: "Übrigens habe ich jetzt meinen Propheten in Israel gefunden, dessen Abwesenheit ich im letzten Brief belamentierte: Joseph Ratzinger! DAS ist genau das Ersehnte: echte Fülle des Wissens, unbestechliche scharfe Denkkraft, lauterste Wahrhaftigkeit und dabei selber einer der Jungen, der mit brüderlicher Sympathie die ganzen neuen Strömungen kennt, bis auf den Grund mit durchdenkt und unbestechlich, aber liebevoll durchschaut und ablehnt, wo es schief geht.

Das es sowas im Nachwuchs gibt, ist doch HÖCHST erfreulich."

Was Görres an Ratzinger insbesondere schätzt, ist seine Überzeugung, dass jede Epoche einen Anspruch auf konstruktiven Widerspruch aus christlicher Sicht hat; anders ausgedrückt: dass Christlichkeit sich nicht beschränken darf auf harmonisierende Totalrelativierung weltlicher Irrtümer -mit der Folge weitverbreiteter "Antiautoritätsschäden".

"Ach, ich weiss", schreibt sie ihrem Briefpartner am 14. Juni 1968 in diesem Sinn mit kritischem Unterton: "Sie wollen wie Karl Rahner dem, der den Mantel verlangt, noch den Rock nachwerfen und statt der zwei Meilen vier mitgehen, nur um keinen zu entmutigen -das ist schön und ergreifend, aber mir scheint es halt leider doch falsch, denn ich glaube einfach, dass auch der heutige Mensch sich nur auf das stützen kann, was ihm widersteht, und das Reinhold Schneider richtig gesehen hat, wenn er immer wiederholt, dass die 'Welt' unseren Widerspruch erwartet und heimlich ersehnt und nicht bloss, dass wir ihre Irrtümer entschuldigen und ihre Schwächen rechtfertigen und kopieren und so "

Leiden an und mit der Kirche

Sie macht dies deutlich an der einsamen Entscheidung von Papst Paul VI. mit dem Verbot künstlicher Verhütung aller Art in der Enzyklika "Humanae Vitae" (1968):"die schwere Problematik dieser Sache ist mir über-bewusst. Aber dass einer von uns, und zwar grad der Papst, es gewagt hat, gegenüber dem triumphierenden Consensus der Welt -in jedem Sinn dieses Wortes und eines grossen Teils seiner eigenen Kirche das Zeichen des Widerspruchs aufzurichten, im Namen Gottes -das Gesetz Gottes über alle eudämonistisch philanthropischen sozialen etc. etc. Forderungen zu stellen - das finde ich beglückend."

Als "mit das Schlimmste unserer gegenwärtigen Entwicklung" sieht Görres "die unendliche Erbitterung, mit der ganze Generationen heute der Kirche gegenüber stehen -mit dem Gefühl, betrogen, düpiert, an der Nase herumgeführt worden zu sein unter den höchsten und heiligsten Vorwänden -und sich nun fortwährend dafür rächen zu müssen".

Vielleicht kann man die edierten Briefe von Ida Friederike Görres an Pater Paulus Gordan am treffendsten als Ausdruck eines "prophetischen Gewissens" lesen, als lautschweigendes Zeichen von jemandem, der die Kirche liebt und deshalb an und mit ihr leidet -aber gerade dadurch deren "Phönixhaftes" am Leben zu erhalten hilft.

Der Autor ist Lektor am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg

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