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Vom Mythos zur Mystik

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JOSEF VON GÖRRES MYSTISCHE LEHRE UND DIE ROMANTISCHE NATURPHILOSOPHIE. Von Georg Bürke. Johannes-Verlag, Einsiedein. 256 Seiten. Preis 17.80 sfr.

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JOSEF VON GÖRRES MYSTISCHE LEHRE UND DIE ROMANTISCHE NATURPHILOSOPHIE. Von Georg Bürke. Johannes-Verlag, Einsiedein. 256 Seiten. Preis 17.80 sfr.

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Daß der kühn unternehmende Johannes-Verlag in Einsiedeln in der weitausholenden Sammlung „Horizonte“, in der bereits so anregende Werke wie das von Hans Küng über „Rechtfertigung“ (Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung) erschienen sind, nun auch die Grundgedanken des vierbändigen Werkes von Joseph Görres über die „Christliche Mystik“ zugänglich macht, ist fast ein Wagnis. Wer sich auch nur etwas hineingearbeitet hat in das schier unübersehbare Bergwerk dieses Riesenwerkes des alten Görres, das in weiten Partien mehr eine Materialsammlung als ein durchgefeiltes Opus darstellt und das gerade deshalb reizt und lockt, der wird" mit größtem Interesse einem Führer wie Bürke folgen, wenn er Schächte und Gänge erhellt, die man übersah, oder „Horizonte“ auftut, auf die man bei Görres über dem verwirrenden Vielerlei des Materials doch allzu leicht vergessen kann. Vielleicht ist die Zeit da, nicht bloß Baader neu zu würdigen, sondern auch Görres — und zwar nicht nur den vielzitierten jungen — neu zu sehen und weiterzuführen. Der katholische Anteil an Romantik und Idealismus ist wohl kaum noch, trotz aller guten Arbeiten zu dieser erregend interessanten Zeitepoche — erschöpfend gewürdigt worden. Nur mit ganz großem Neid kann man von heutiger Genügsamkeit im Geistigen her auf solche Ansätze und Unternehmungen schauen, wie sie im Ringen eines Baader oder Görres zu beobachten sind. Selbst was hier scheitern mußte, erregt noch Bewunderung. Hier wurde wahrhaft „groß geschaut und groß gebaut“, und das Atomzeitalter im Physikalischen kann sich leider nicht rühmen, es dem gleichzutun I

Nachdem in einem ersten Teil der geschichtliche Werdegang Görres’ bis zur „Mystik“ aufgezeigt wird sowie die Vorarbeiten und die Entstehung dieser „Summe“ seines Wissens und seiner persönlichen Lebenserfahrung, legt der entscheidende zweite Teil die Theologie der „Christlichen Mystik“ vor, während ein abschließender dritter Teil, „Katholische Spätromantik“, die geistigen Quer- und Längsverbindungen aufzeigt, wobei äußerst interessante dogmengeschichtliche und kulturhistorische Nebenprodukte „abfallen“. Dabei wird vor allem deutlich, wie komplex im ganzen und im einzelnen das ist, was man katholische Spätromantik zu nennen pflegt, aber auch wie wenig wir die damals erspürten und angegangenen Probleme heute schon aufgearbeitet haben. — ln einem Schlußkapitel, „Ausblick“,

kommt die Wirkung und Strahlkraft des Görresschen Werkes zur Darstellung, in Zustimmung wie Ablehnung. Eine sechsseitige Bibliographie ergänzt die reichen Anmerkungen der Untersuchung.

Auch wer die „Christliche Mystik“ von Görres für ein mißglücktes Abenteuer hält, auch wer die Grundkonzeption dieses gigantischen Versuches ablehnt — und man kann das mit guten Gründen —, wird bei der Gratwanderung zum Hochgipfel christlicher Mystik nur mit größtem Nutzen den scheinbaren Umweg über das „Geröllfeld" der „Christlichen Mystik" von Görres machen. Wer es tut, wird schon dadurch belohnt, daß er nicht der ständig drohenden Gefahr erliegt, über dem gespannten Höhenblick Tiefe und Breite und Weite dessen zu übersehen, was gerade die steilsten Gipfel trägt. Mag Görres auch nicht ganz und entschieden den Weg „vom Mythos zur Mystik" gegangen sein, ohne allzuviel Entbehrliches mitzuschleppen, mag er, weil allzu schwer beladen, das Gipfelkreuz nicht rechtzeitig mehr erreicht haben in seinem unvollendeten Werk (das persönliche Leben muß damit nicht notwendig in eins gehen/): in den Zwischenregionen war er zu Hause wie wenige. Wer den Mut aufbringt. eine neue „Christliche Mystik“ nach solchen Riesenplänen zu schreiben, wird an der seinigen nicht Vorbeigehen können.

DIE HEILSAME VERFOLGUNG (Tagebuch von 1896 bis 1900). Von Leon B 1 o y. Glock-und-Lutz- Verlag, Nürnberg. 323 Seiten.

Der Glock-und-Lutz-Verlag hat sich um die deutsche Ausgabe der Tagebücher Leon Bloys verdient gemacht. Schon 1949 erschien „Der undankbare Bettler“ (Tagebuch von 1892 bis 1895). Zwei Jahre später folgten die unter dem Titel „Vier Jahre Gefangenschaft" vereinigten Tagebücher der Jahre 1900 bis 1904. Dazwischen aber klaffte durch bald ein Jahrzehnt eine Lücke. Erst vor wenigen Monaten wurde sie durch die Herausgabe des vorliegenden Bandes geschlossen. Die Trilogie liegt nun vollständig vor.

ln diesem Buch, auf das die deutschsprachigen Freunde des gewaltigen (und gewalttätigen) „Pilgers des Absoluten“ — als dieser stellte sich Leon Bloy selbst vor — so lange warten mußten, finden sie den Bahnbrecher der mächtigen Geistesrevolte des „Renouveau Catholic" durch 17 Monate in Däne mark. In doppeltem Exil. Und wieder: Klagelieder über die eigene Armut, Haßgesänge gegen die Reichen (das heißt gegen jene, die Leon Bloy kein Geld senden), wozu noch die sehr temperamentvolle, von Selbstgefälligkeit nicht freie Ablehnung seiner protestantischen Umgebung kommt. Dazwischen aber Gedanken von erhabener Schönheit, tiefer Religiosität und zeitloser Gültigkeit.

Merkwürdiger .„Pilger des Absoluten“! Stets schwingst du mit dem Herrn die Geißel, um die Wechsler aus dem Tempel zu vertreiben. Nicht selten aber bückst du dich unter Danksagungen und übermäßigen Freundschaftsbeteuerungen, wenn von den umgestürzten Wechseltischen ein paar Goldstücke auf dich zurollen. Und noch etwas: die Liebe, die Nächsten- und Fernstenliebe! Deine Leser und Freunde werden müde, nach ihren Spuren in deinem

Werk zu forschen. So gleichst du einem der zürnenden Propheten des Alten Bundes oft mehr als den Jüngern aus der Nachfolge Christi. ,

Dennoch ziemt es uns nicht, ein „Scherbengericht“ über einen Mann abzuhalten, dem nicht nur ein hartes Schicksal auferlegt war, sondern der auch die zentrale Gestalt des modernen christlichen Romans — den Typ des „heiligen Sünders“ — modelliert hat. Und außerdem: Bloys derber Nagelschuh ebnete den Weg, seine donnernde Prophetenstimme schuf Bahn für einen Charles Pėguy, Paul Claudel und Georges Bernanos — grundverschiedenen Männern, denen gemeinsam aufgetragen war, die so strahlkräftige geistige Erneuerung des französischen Katholizismus fortzuführen und auf dem Gebiet der Literatur zu vollenden.

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