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Johann Joseph von Görres

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Am 29. Jänner des von den Stürmen revolutionärer Unrast aufgewühlten Sturmjahres 1848 schloß in München ein Zweiund- siebzigjähriger seine Augen für diese Zeitlichkeit. Wie eine lodernde Flamme leuchtet seine Persönlichkeit im zwielichtigen Dunkel jener turbulenten Zeit: Johann Joseph von Görres.

In Koblenz am 25 Jänner 1776 geboren, verliert er, noch im Knabenalter stehend, durch die „Aufklärung” den Glauben. Begeistert schwört er als Jungmann in seinen Sturm- und Drangjahren auf die philosophischen und politischen Ideen der großen Revolution in Frankreich. Bereits in seinen Erstlingsschriften („Der allgemeine Friede ein Ideal”, 1795; Artikel in „Dem Roten Blatt”, 1798—99, und „Dem Rübezahl”, 1799) läßt sich neben dem oft zynischen Spott gegen Kirche und alten Staat eine eigenartige publizistische Begabung des kaum Zwanzigjährigen erkennen. Eine Begabung, die ihn befähigt, Schöpfer der modernen politischen Zeitung zu werden. Aus einem kümmerlichen Provinzblättchen, dem Sprachrohr des damaligen Präfekten des Rhein- und Moseldepartements, „Mercure de Rhin”, formt er das klassische Vorbild der politischen Zeitung, den „Rheinischen Merkur”. Selbst Napoleon nannte ihn bewundernd „cinquieme puissance” — „die fünfte Großmacht”.

Die enttäuschenden Auswirkungen der Revolution, seine Eindrücke im Paris von 1799 und 1800, wo er als Vertreter seiner Landsleute politische Erleichterungen zu erwirken sucht, veranlassen ihn zu einer Revision seiner Ansichten. Die bedeutsame Schrift „Resultate meiner Sendung nach Paris” (1800) dokumentiert nicht nur diesen Wandel der Gesinnung, sondern ebenso einen großen Mut zur Wahrheit und die Entschlossenheit, mit dem Irrtum öffentlich zu brechen.

Die nächsten Etappen seines geistigen Ringens und Reifens sind Herder und Schelling. Inzwischen (1800 bis 1806) ist er Lehrer für Naturwissenschaften in Koblenz geworden. Er verfaßt kleinere naturwissenschaftliche und naturphilosopbische Schriften. Mit diesen Arbeiten festigt sich in dem jungen Gelehrten immer mehr und mehr die Überzeugung, wie alle Ordnung, also auch die politische, deren Wiederherstellung und Erneuerung nur auf der höheren Ebene des christlichen Ethos möglich ist. Von da an beginnt seine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Religionen der Völker, deren Frucht unter anderem sind: „Die teutschen Volksbücher” (1807) und vor allem das auch heute noch grundlegende Werk „Mythengeschichte der asiatischen Welt” (2 Bände, 1810). Hier umgrenzt er — Ergebnisse heutiger Forschung genial vorwegnehmend — das alte Heidentum, das er als Advent der Menschheit deutet und auf Christi Kommen hingerichtet begreift. Der Mythos ist erst durch den Logos zu verstehen.

In der Mystik findet Görres den Wegweiser durch die menschliche Geschichte. Von dieser Schau ist es nur mehr ein Schritt zu jener Quelle, aus der unser Volkstum sowie die abendländische Art überhaupt die eigentliche Wesenformung schöpfte — die große christliche Tradition des Mittelalters. Von da an erfüllt eine glühende und bewundernde Liebe für das katholische Mittelalter das Herz dieses Mannes, welche ihn endlich ab 1824 ganz in die Katholizität heimfinden läßt. Von diesem Standort aus war es ihm —• einen einzelnen — möglich, die damals fast unüber. windlich scheinenden Bastionen des Rationalismus zu überwinden und in der Wüste einer trostlos oberflächlichen Utilitaritäts- betrachtung dem Dasein gegenüber die Quelle des Lebens zu finden oder wie Görres in seinem heute noch lesenswerten „Athanasius” sagt: das „rauschende Leben selbst”, nämlich das Mysterium der Gottmenschheit des Er. lösers, in der ihm alle Geheimnisse und Gesetze des Daseins ruhen. Immer mehr und mehr vertieft sich bei ihm die Befähigung, die Dinge und das Geschehen in den richtigen Mittelpunkt des persönlichen, weit- und geistesgeschichtlichen Seins zu rücken.

Von hier aus wird die nicht abzuschätzende Werbekraft seines geschriebenen Wortes ver-, stündlich. Von hier wird ersichtlich, woher es kommt, daß Görres sich nie an die Magie des berauschenden Wortes verliert, sondern immer jene warme und freimütige Art trifft, in der er uns zeigt, wie Journalismus Berufung und Sendung ist. Hier ist die Quelle seiner unglaublichen geistigen Stoßkraft, mit der er als Meister der Publizistik seinem zerklüfteten und desorganisierten Volke Gemeinschaftsbewußtsein wiedergibt und so als Einzelmensch ohne andere Macht als die seiner Persönlichkeit die europäische Schicksalslinie entscheidend beeinflußt.

Aus dieser geistigen Haltung heraus ist seine Befähigung zu erklären, mit einer stau, nenswerten Spannweite dem ganzen geistigen Leben und Ringen seiner Zeit aktiv verbunden zu bleiben, beginnend mit seinem unerschrockenen Kampf gegen den seelenlosen Absolutismus des damaligen Polizeistaates nach dem Wiener Kongreß} in seiner polyhistorischen Tätigkeit und Wirksamkeit in München bis zu seinen erfolgreichen Bemühungen um die Kräftigung des kirchlichen Selbstbewußtseins gegenüber den Aspirationen des damaligen Staatskirchen- tums. In seiner breitangelegten mehrbändigen „Christlichen Mystik” (1836/42) zeigt er mit seiner seltenen Befähigung der damals im religiösen Indifferentismus und dürren Intellektualismus befangenen Umwelt im Leben heiliger Menschen unwiderlegbar die Steile, an der das Göttliche immer wieder in barmherziger Macht in das Geschehen der Menschen tritt. Dieses Werk, seinerzeit ein außergewöhnliches literarisches Ereignis, ist nicht bloß ein vielleicht geistreiches, interessantes monumentales Sammelwerk, nicht bloß ein Standardwerk primärer Geltung innerhalb der religiösen Weltliteratur, sondern vor allem auch für die Gegenwart eine gangbare Brücke um dem Gefühl der hilflosen Preisgegebenheit an das undurchschaubare Geschehen im Leben und Geschichte entrinnen zu können. Görres ist uns aufmunternde Mahnung und überzeugendes Beispiel dafür, wie es bereits genügen würde, wenn der Christ sein christliches Sein praktisch ausleben würde, um in dem von seiner persönlichen Spannkraft umfaßten Daseinskreis die Wende anzubahnen und allen drohenden Überflutungen zerstörender Gewalten die Macht der aufrechten christ liehen Persönlichkeit entgegenzustellen.

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