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Christliche Jungfräulichkeit

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Mit begeisterten Worten spricht die Rezensentin in der englischen Zeitschrift „Blackfriars“ (August 1966) über das Buch von Ida Friederike Görres (englischer Titel „Is Celibacy Outdated?“).

Klärung der Gedanken betreffend den priesterlichen Zölibat und Besinnung auf den im jungfräulichen Priestertum Christi enthaltenen Reichtum, der angenommen sein will, erscheinen dem Leser als wohltuend konstruktive Beiträge zu diesem Thema. I. F. Görres weist darauf hin, daß eine Ablehnung des Zölibats immer wieder auftauche und nicht verwundern dürfe — ein Protest der simplen Menschennatur sei nur zu verständlich. Allerdings sind die Gründe des gläubigen Volkes, den Zölibat auf Grund der Autorität und Tradition der Kirche, der Notwendigkeit der Disponibilität und des vestalischen Prinaips für selbstverständlich zu halten, heute nicht mehr so zwingend.

Zunächst weist die Verfasserin auf die uns allen bekannte Wiederentdeckung des religiösen Gehalts der natürlichen Wirklichkeit hin. Gewiß war die Lehre der Kirche immer ein „Ja“ zur Schöpfung. Doch stand die Frömmigkeit 20 Jahrhunderte lang unter dem Vorzeichen des „Nein“ zur Welt. Heute findet eine religiöse Rehabilitierung der Welt statt — in diesen Prozeß ist der Zölibat hineingeraten.

Im folgenden aber stößt der Leser auf das „Gold“ in diesem Buch. Es gelingt der Verfasserin, ein hinreißendes Bild von der priesterlichen Existenz zu zeichnen. Man hört oft, daß unsere Zeit arm an Leitbildern, an Idealen sei. Hier ist eines, gewiß von bleibender Gültigkeit. Dieses Ideal beruht nicht auf Welt- und Leibangst, sondern auf einer Reihe von positiven Leitmotiven: Auf der altchristlichen Vorstellung geheiligter Jungfräulichkeit, auf bestimmten Gestalten des Evangeliums (Knecht, Wächter, Bote), auf dem Bild vom engelhaften Menschen, und, als wichtigstes, auf dem Bild von der Ehe Christi mit der Kirche (S. 19).

Die altchristliche Jungfrauschaft galt als Privileg und Zuwachs, nicht als Minderung. Sie anerkannte die Würde der Ehe. Die Ehe ist ein sakraler Grundpfeiler aller menschlichen Ordnungen. Sie bedeutet mehr als sie selbst ist. Sie ist ein Hinweis auf etwas, was über sie hinausgeht, auf die unio, die die Jungfräulichkeit auf anderem Weg anstrebt.

Es gilt aber, nicht von Jungfräulichkeit allein zu sprechen, sondern von christlicher Jungfräulichkeit, die auf Christus bezogen ist. Christus, dessen irdisches Leben jungfräulich war, besaß die Fülle der menschlichen Potenzen, Er bedurfte keiner Ergänzung, Er besaß ein Mehr, nicht ein Minder an Menschlichkeit, eine Höhe und Fülle. Daran teilzunehmen, ist die Sehnsucht der christlichen Jungfräulichkeit. Sie beruht nicht auf eigener Leistung und Wahl. Wer aber gewählt ist, „darf dem Charisma vertrauen“ (S. 52).

Der Priester ist aber auch der treue Knecht, der Wächter, der Hütende, der Anvertrautes zu bewahren hat, der nachts auf dem Posten steht. Er ist der Bote, der alles verläßt, um beständig und in allen Dingen das Leben des Meisters zu teilen.

Erfahrene Seelsorger sprechen von der Opferscheu, der Angst vor Härte und Überwindung unserer Tage. Man meint mit „Liebe“ allein allen Problemen beikommen zu können. Schon im Bereich des Natürlichen, etwa der Entfaltung und Ausbildung der Talente geht es nicht ohne Überwindung. Schon hier beginnt das Kreuz, schreibt Pėrė Teilhard im Milieu Divin. Um so mehr gilt das für den übernatürlichen Bereich, auf den die christliche Jungfräulichkeit ausgerichtet ist. Sie ist eine Form mächtigen, glühenden, freien Lebens, eine große Konzeption, nicht eine Verneinung, eine Ablehnung der Schöpfung, sondern innerhalb ihrer wird ein Schritt vorausgenommen.

Es wäre sicher wirklichkeitsfremd und schwärmerisch, die Schwierigkeiten der zölibatären Lebensform deswegen zu verharmlosen und zu idealisieren. Die Jungfräulichkeit besteht in der Welt genau wie die eheliche Liebe nur in Knechtsgestalt. Nach Aussage der Väter ist die Jungfräulichkeit die zweite Gestalt des Martyriums, ja der Ersatz dafür im Doppelsinn des Zeugnisgebens und der schmerzhaften Lebenshingabe.

Schließlich repräsentiert der Priester in erster Linie Christus, der mit der Kirche in vollem Liebes- und Lebensaustausch lebt. Daran hat der Priester teil, er hat sich nicht von jedem Du abgewendet, um nur einer Sache zu leben. Er gehört dieser Lebensgemeinschaft an, sie verlangt von ihm Treue, Zeugungskraft, Verantwortung, Sorge, Geduld, Liebe. Kein Zufall, daß bei anderen Völkern der Priester mit „Vater“ angesprochen wird.

Ein Wesentliches Motiv im mittelalterlichen Kampf um den Zölibat war die Notwehr gegen die Allmacht der Sippe. Damals hatte sich das alte Idol des Blutes als höchster Lebenswert auf soziologischer Ebene kristallisiert. Heute geschieht das auf psychologischer Ebene — in der Lehre von der Unwiderstehlichkeit und Unentbehrlichkeit der biologischen Geschlechtserfahrung. Vielleicht fällt dem Zölibat wieder die Rolle eines Freiheitskampfes, zu, gegen Tyrannei der Geister, mehr noch als der Leiber.

Um nochmals auf das Buch von Ida Friederike Görres zurückzukommen: Wir schließen uns dem Wunsch der englischen Rezensentin an. Sie hofft, daß dieses Buch in die Hände vieler Priester und Seminaristen gelangen möge, um Berufungen zu wecken und zu stärken.

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