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Die drei Grundprinzipien der Chirurgie sollten auch bei einem richtigen Schächtschnitt erfüllt werden: Eine Spurensuche nach geschächtetem Fleisch in Wien.

Wenige hundert Meter vom Schwedenplatz im Wiener Zentrum entfernt, über den Donaukanal hinweg, nimmt der bunte Trubel der Taborstraße seinen Anfang. Straßenbahnen winden sich an einer Großbaustelle vorbei und überqueren chaotische Kreuzungsbereiche. Die Einkaufstaschen vieler Passanten sind prall gefüllt mit Lebensmitteln, koscheres Fleisch bietet unter anderen auch Bernat Ainhorn an.

In der Großen Stadtgutgasse, unweit des Karmelitermarktes, macht nur ein dezentes Schild auf das jüdische Geschäftslokal aufmerksam. Hinter der Eingangstüre herrscht reges Treiben. Sämtliche Produkte in der Vitrine, erklärt die Ehefrau des Inhabers, sind koscher und entsprechen den strengen Vorschriften der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz. Zusammen mit einem Kollegen überprüft Bernat Ainhorn seine Ware vom Schlachthof weg. Die lückenlose Kontrolle aller Verarbeitungsschritte findet bis zum Ladentisch statt.

Koscheres Fleisch

"Du sollst von deinem Großvieh und Kleinvieh schlachten, so wie ich dir befohlen habe...", heißt es in der jüdischen Bibel, dem Alten Testament der Christen (Dtn 12,21). Im Konkreten fordert diese Anweisung von den Juden das Schächten und anschließende Ausbluten des betreffenden Tieres. Der Vorgang muss von einem ausgebildeten Meister, dem Schochet, durchgeführt werden. Er zieht das Messer, das scharf wie ein chirurgisches Instrument und garantiert schartenfrei sein muss, mit gekonnter Handbewegung im Bruchteil einer Sekunde über den Hals des Tieres und öffnet die lebenswichtigen Schlagadern sowie die Luftröhre. Das Blut läuft aus, danach werden Lunge und innere Organe auf etwaige Makel überprüft und das Fleisch für den Transport fertig gemacht.

Im firmeneigenen Lieferwagen transportiert Bernat Ainhorn das zerlegte Rind vom steirischen Schlachthof nach Wien. Ein halbstündiges Wasserbad und das Salzen sind schließlich notwendig, um das letzte Blut aus dem Fleisch zu laugen. Für Frau Ainhorn besteht kein Zweifel: Das Fleisch zeichnet sich so durch besonders gute Haltbarkeit aus.

In Wien ist es für Ainhorn schwer, koscheres Fleisch zu beschaffen. Denn die Wiener Schlachthöfe wollen nicht in die Tierschutz-Debatte rund ums Schächten gezogen werden und stehen für koschere Fleischhauer nicht mehr zur Verfügung. Zu groß offensichtlich die Angst, ins mediale Rampenlicht gerückt zu werden und einen Imageschaden zu erleiden. Dementsprechend schlagen sich auch die Kosten für Fahrten in die Steiermark oder nach Ungarn zu Buche, von wo Ainhorn sein Geflügel bezieht: Mindestens zweimal pro Woche macht er sich auf den Weg zu einem seiner Vertragspartner, denn viele Kunden akzeptieren nur frisch Geschlachtetes.

Streitfrage Tierschutz

Fragt man Bernat Ainhorn nach der Problematik des Tierschutzes, fällt die Antwort sehr deutlich aus: Das Tier empfinde keine Schmerzen, eine Betäubung vor dem Schächtschnitt, wie von Kritikern immer wieder vehement gefordert, sei keineswegs notwendig. Obendrein verbietet die Religion diesen Eingriff ganz eindeutig, denn das Tier darf vor dem Schächten nicht tot sein - was bei einer vorhergehenden Betäubung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Halal am Naschmarkt

Muslimische Fleischhauer und Imbissstuben, sie sind den jüdischen Geschäften zahlenmäßig weit überlegen, lassen sich in Wien vielerorts aufspüren. Wer den Naschmarkt vom Karlsplatz her kommend durchstreift, taucht in ein vielfältiges Angebot an Viktualien aus aller Herren Länder ein. Neben dem herkömmlichen Gemüse, Südseefrüchten oder orientalischen Gewürzen wartet der bekannteste Wiener Traditionsmarkt mit einem breiten Angebot an geschächtetem Fleisch auf.

Auch der Islam fordert den Kehlschnitt am lebenden Schlachttier, ebenso wie das völlige Ausbluten: "Verboten ist euch das Fleisch von verendeten Tieren, das Blut, das Schweinefleisch und das Fleisch, worüber ein anderes Wesen als Gott angerufen worden ist..." (Koran, Sure 5, Vers 3)

Viele Verkaufsbereiche sind weithin sichtbar mit der Aufschrift "halal" (türkisch "helal") gekennzeichnet, garantieren somit die Einhaltung der islamischen Vorschriften, sprechen jedoch keineswegs ein ausschließlich muslimisches Publikum an. Die Qualität der angebotenen Waren werde auch von Österreichern hoch geschätzt, verrät eine ältere Dame beim Einkauf. Über die Schlachtungsmethoden hat sie sich bisher noch keine Gedanken gemacht, gesteht sie bedenkenlos ein und geht mit dem eben erstandenen Lammfleisch ihres Weges.

Im lauten Durcheinander der werbenden Händler vermögen sich die Kebab-Verkäufer wohl am besten durchzusetzen. Unentwegt wird die türkische Spezialität angeboten, und der Ursprung des Fleisches im Fladenbrot bleibt keineswegs ungewiss. In allen Fällen wird der Imbiss als "helal" ausgewiesen. Der heimische Durchschnittsverbraucher steht der Problematik des Schächtens somit oft näher, als er ahnt.

Kontrolle ist besser

Keinesfalls darf das Tier an seinem Schlachtplatz Blut sehen oder anderen Stressfaktoren ausgesetzt werden: Noureddinne Boufalgha, Halal-Experte und Kontrollorgan der Islamischen Glaubensgemeinschaft, beschreibt die strengen Schächtbestimmungen seiner Religion, streicht dabei jedoch ganz besonders den schonenden Umgang mit dem Schlachtvieh hervor. Als Überprüfer achtet er auf die hygienischen Umstände, inspiziert die Klinge des Messers und überwacht, zusammen mit dem Veterinär, den gesamten Vorgang.

Natürlich sei es gänzlich ausgeschlossen jedem einzelnen Schächtschnitt persönlich beizuwohnen und das Fleisch als "halal" zu qualifizieren. Viele Firmen sind aber Vertragspartner der Glaubensgemeinschaft und genießen deren Vertrauen. Boufalgha kontrolliert stichprobenartig.

Auf die Betäubungsfrage angesprochen meint er lakonisch: "Stiere werden bei Muslimen nicht in unnötigen Kampfspielen getötet, sondern, einer jahrhundertealten Tradition Folge leistend, professionell geschlachtet." Er fühlt sich in erster Linie der gefühlvollen Behandlung des Schlachtviehs verpflichtet, möchte den Tierschutzgedanken gewahrt sehen.

Keine Glaubensfrage

Wer in Wien lebt, wird - ungeachtet der religiösen Zugehörigkeit - nicht umhin kommen, die Streitfrage "Schächten" für sich selbst zu beantworten. Beim türkischen Kebab kommt der Konsument zweifellos am häufigsten mit Schächtfleisch in Berührung.

Am Ende des Streifzugs nach Geschächtetem in Wien bleibt - neben einer Unzahl neuer Eindrücke - die in Alufolie gehüllte, koschere Wurstsemmel. Eine kleine Aufmerksamkeit der Familie Ainhorn: Für ihre Wurstspezialitäten wird die Fleischerei übrigens weit über die Grenzen des 2. Bezirks hinaus hoch geschätzt. Auch von vielen nichtjüdischen Österreichern.

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