ohrwurm - © Illustration: iStock / Sandipkumar Patel

Die Entstehung der Ohrwürmer

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Wie entstehen musikalische Ohrwürmer – und was verraten sie über die eigene Persönlichkeit? Vor allem aber: Wie stellt man nervige Melodien wieder ab?

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Wie entstehen musikalische Ohrwürmer – und was verraten sie über die eigene Persönlichkeit? Vor allem aber: Wie stellt man nervige Melodien wieder ab?

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Dass aus heiterem Himmel ein Musikstück im Kopf ertönt, klingt für die meisten Menschen bekannt. Der Zeitpunkt und die Art des Ohrwurms lösen dagegen schon einmal Verwunderung aus. Laut einer finnischen Umfrage bei 12.000 Personen erleben neun von zehn Menschen zumindest einmal wöchentlich einen Ohrwurm, rund 25 Prozent sogar mehrere pro Tag. Was oft den Eindruck eines beliebigen Songs zu einem x-beliebigen Moment macht, hängt in Wirklichkeit stark von der Situation, dem individuellen Typ und der Art der Musik ab. Zwölftonmusik und Free Jazz eignen sich wenig zum Ohrwurm, Dave Brubecks „Take Five“ schon mehr.

„Der 5/4-Takt sorgt für einen Überraschungseffekt. Ebenfalls typisch für einen Ohrwurm sind eine leicht zu merkende Melodie, Wiederholungen und kleine Intervalle“, sagt Christoph Reuter vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien im Gespräch mit der FURCHE. Zu seinen eigenen wiederkehrenden – und höchst willkommenen – Ohrwürmern zählt Reuter „Die Trompeten von Mexiko“ von Helge Schneider. Im Allgemeinen besitzen Lieder ein höheres Ohrwurmpotenzial als rein Instrumentales. Der Mix aus Text und Musik wird zugleich im neuronalen Hör- und Sprachzentrum verankert und verfestigt sich daher leichter im Hirn. Erst recht bei einem vielsagenden Text.

Bereits seit den 1950ern beschäftigt sich die Wissenschaft mit dem Phänomen, seit dem Jahr 2000 passiert dies verstärkt. Was einen Ohrwurm ausmacht, interessiert nicht zuletzt die Musikindustrie, die punktgenauere Hits produzieren will. Die deutsche Band Wise Guys jedenfalls konnte mit dem Song „Ohrwurm“ einen solchen landen. „Nach dem aktuellen Forschungsstand handelt es sich um eine Warteschleifenmusik im Gehirn“, sagt Reuter über die Ohrwürmer im Kopf. Beste Bedingungen dafür bieten Zeiten des Müßiggangs, Routinetätigkeiten wie Duschen und Kochen, aber auch rhythmische Bewegungen wie Gehen oder Joggen. Denn das Hirn ist dabei wenig gefordert. Was dann passiert, beschreibt Reuter als Mustererkennungsprozess: „Aus zufälligen elektrischen Signalen bilden sich Muster, die das Gehirn zu interpretieren versucht.“ Die Denkstube sucht sozusagen zum Muster Passendes im musikalischen Langzeitspeicher. „Man kann das mit Figuren vergleichen, die wir sehen, wenn wir nur lange genug in den bewölkten Himmel schauen“, sagt der Musikwissenschafter.

Für einen Ohrwurm ist also nicht unbedingt ein Input von außen nötig. Dazu passt, dass insbesondere Schwerhörige von Ohrwürmern ein Lied singen können: Ist das Hörareal permanent unterbeschäftigt, weil zu wenig von außen hineinkommt, werden Eigengeräusche eben verstärkt wahrgenommen.

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