Bauernhochzeit Bruegel - © Bild: Wikipedia (Gemeinfrei)

Nahrung – ein Menschenrecht

19451960198020002020

„Was werden wir morgen essen?“: Diese Frage stellt sich für viele Menschen nicht nur rhetorisch – und wird sich künftig noch drängender stellen. Ein Essay.

19451960198020002020

„Was werden wir morgen essen?“: Diese Frage stellt sich für viele Menschen nicht nur rhetorisch – und wird sich künftig noch drängender stellen. Ein Essay.

Werbung
Werbung
Werbung

Sie haben es schon getan oder werden es noch tun: nämlich essen. Oder trinken, „weil Speis und Trank in dieser Welt doch Leib und Seel zusammenhält“, wie der Dichter Hinrich Hinsch im 18. Jahrhundert reimte. Essen ist lebensnotwendig, denn ohne Nahrung gibt es kein Leben. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern für alle Lebewesen. Leben braucht Nahrung, angemessene Ernährung, fehlende oder mangelhafte Ernährung bringt Krankheit und Tod. Was werden, was können wir morgen essen? Das ist eine Frage des Überlebens.

Menschen können von Natur aus nicht anders als Kultur zu schaffen. Doch ohne Natur geht gar nichts, wenn es ums Essen geht. Selbst für Fleisch aus dem Labor oder dem 3-D-Drucker ist Natur notwendig: Muskelgewebe oder Bestandteile des Blutes von Tieren, auf jeden Fall Aminosäuren. Und Boden, Wasser, Sonne, Samen: Das sind unabdingbare Voraussetzungen für Wachstum und Nahrung.

Lebensmittel sind kulturell gestaltet – sie werden gekocht, gegart, gebraten, gewürzt, fermentiert, konserviert, flambiert usw., menschliche Tätigkeiten, die gelernt und geübt werden müssen, und die die rohe Natur der Nahrung nach bestimmten, kulturell verankerten Kriterien verändern. Geschmäcker werden schon mit der Muttermilch gelernt. Deswegen ist Essen nicht einfach nur das Aufnehmen von Nahrung: Sich zu ernähren ist ein Prozess, der Identität schafft und bestätigt. Das angenehme Gefühl, gut satt zu sein, ist weit mehr als die Summe der Aufnahme von chemischen Substanzen.

Welches Essen angemessen ist

In Europa, so der Historiker Massimo Montanari, gab es in der Antike zwei große Ess-Kulturen: die mediterrane, in der man Weizenbrot, Gemüse, Käse, Fisch, Wein, Oliven und etwas Fleisch aß, und dies vor allem mit Maß – die antike Tugend des Maßhaltens prägte auch das Essverhalten. Weiter nördlich, bei Franken und Germanen, gehörten Fleisch, Milch und Gerste – letztere als Brei und vergoren als alkoholisches Getränk – zu den Standards. Männlichkeit bewies sich hier im Vielessen und Fleischessen. Wer gern maßvoll oder vorwiegend Gemüse aß, wie etwa Nikephoros Phokas, Kaiser von Byzanz, galt als schwach. Karl der Große dagegen war ein begeisterter Viel- und Fleischesser. Solche kulturellen Muster bestimmen oft bis heute, was als angemessenes Essen gilt. Dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung seit kurzem pflanzenbasierte Nahrung empfiehlt, ist ein bemerkenswerter Kulturwandel. Bis ins 18. Jahrhundert litt das gemeine Volk oft an Hunger, wenn die Ernten durch Wetter, Kriege oder Seuchen schlecht ausfielen. Erst als Mais und vor allem Kartoffel allmählich in Europa heimisch und ab dem 18. Jahrhundert regulär angebaut wurden, war es für das gemeine Volk leichter, satt zu werden.

Wer was essen durfte, war ein sozialpolitisches Thema. Im Kunsthistorischen Museum in Wien zeigt das Bruegels „Bauernhochzeit“ (s. oben): in großen Holztrögen wird das Festessen zu den Tischen getragen, nämlich – Hirse mit Safran. Bauern sollten einfach und billig essen, das luxuriöse Essen war dem Adel vorbehalten. Der Zugang zu Nahrung zementiert soziale Unterschiede – weswegen etwa in Venedig zu Beginn der Neuzeit Beamte die Haushalte kontrollierten, ob standesgemäß gekocht wurde.

Was werden wir morgen essen – das ist für die rund 30 Prozent der Weltbevölkerung, die nach Angaben der UN-Organisation „World Food Program“ von Hunger oder extremem Hunger betroffen sind, freilich keine rhetorische Frage. Etwa alle vier Sekunden stirbt ein Mensch an Hunger, pro Tag rund 25.000 Menschen. Die Ursachen sind in fast der Hälfte aller Fälle direkte kriegerische Konflikte, zu etwas mehr als einem Drittel extreme Wetterbedingungen (etwa Dürre oder Überschwemmungen); der Rest resultiert aus wirtschaftlichen Schocks wie Covid-19 oder dem Stopp der Getreidelieferungen durch den Ukrainekrieg (vgl. www.fsinplatform.org).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung