Bis die Flügel brechen

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Langatmige "Kasimir und Karoline"-Inszenierung in Perchtoldsdorf.

Mit tiefer Verbeugung steht der Zuschneider Eugen Schürzinger geraume Zeit vor seinem obersten Chef, dem Kommerzienrat Rauch, der den Underdog erst gar nicht wahrnimmt. Eine symptomatische Szene für Ödön von Horváths Volksstück "Kasimir und Karoline", das heuer auf dem Programm der Sommerspiele Perchtoldsdorf steht. "Und die Liebe höret nimmer auf" lautet Horvaths Motto für die alltägliche Tragödie einer gescheiterten Beziehung. Auf der Münchner Oktoberfest-"Wiesn" starren alle gebannt auf die technische Errungenschaft Zeppelin, auch die Büroangestellte Karoline und deren Verlobter, der Chauffeur Kasimir, der gerade seine Arbeit verloren hat und räsoniert: "Da fliegen droben zwanzig Wirtschaftskapitäne und herunten verhungern derweil einige Millionen."

Der Pessimist Kasimir, der sich ohne Geld als "der letzte Hund" fühlt, redet sein Schicksal geradezu herbei: Karoline lässt ihn stehen, denn sie will sich amüsieren, Eis essen und Achterbahn fahren. Ihr neuer Bekannter Schürzinger zieht sich in der Hoffnung auf berufliche Beförderung, zurück, als sein Boss Rauch plant, mit Karoline zu einem flüchtigen Abenteuer nach Altötting zu fahren. Kasimir sucht Trost im Bierkonsum mit dem Merkl Franz - einem ehemaligen Kollegen und Kriminellen, der seine Freundin Erna brutal unterdrückt - und ist schon pleite, als er sich auch noch zwei leichten Mädchen zuwenden will. Mit denen kommt dann Rauchs Freund, der Landgerichtsdirektor Speer, ins Geschäft.

Als ein Autounfall nahe der Festwiese Karolines Ausflug stoppt und der Merkl Franz verhaftet wird, scheint ein Happy-End möglich, aber Kasimir weist Karoline, die nun spürt, dass sie zu ihm gehört, zurück und wendet sich Erna zu. Karoline resigniert: "Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich - aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln, und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabeigewesen." Sie tröstet sich mit Schürzinger, während Erna und Kasimir zurückbleiben und singen, der Mensch habe nur "einen einzigen Mai".

Dass Perchtoldsdorf im Sommer nicht auf leichte Unterhaltung setzt, verdient Anerkennung. Horváths Werk von 1932 hat sehr aktuelle Bezüge, die Ballade vom Bierfest könnte vielleicht gerade im Ambiente des Weinortes Wirkung zeigen. Doch in Janusz Kicas Inszenierung im sparsamen Bühnenbild von Georg Resetschnig springt der Funke nicht ganz über. So wird einem in dieser Produktion nicht einsichtig, warum Horváth eine Reihe von Abnormitäten auftreten lässt, vom wie ein Affe behaarten Mädchen Juanita bis zum "Mann mit dem Bulldoggkopf".

Andreas Bittl (Kasimir) jammert sich eindimensional durch das Stück, Chris Pichler (Karoline) spielt ihre Rolle, die oberflächliche und am Schluss reuige "Wiesenbraut", echter. Hanno Pöschl (Merkl Franz) nimmt man als Type, aber nicht als Schauspieler wahr. Starke Leistungen liefern Branko Samarovski (Rauch) und Hermann Schmid (Speer) als lüsterne Alte, Melita Jurisic (Erna) als 25-Jährige, die schon wie 35 wirkt, vor allem aber Rudolf Jusits (Schürzinger), dem man seine Zerrissenheit - Buckeln für die Karriere, Sorge um die ihm sympathische, aber Rauch überlassene Karoline - glaubt.

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