Der Reisende in seiner kleinen großen Zeit

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FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer legt mit "Meine kleine große Welt“ seine Memoiren vor: Als Reporter in China, den USA und Nahost, als Freund beim Dalai Lama, als Geheimdiplomat Österreichs bei Gaddafi.

Hermann Keyserling hat einmal das Innenleben des weltläufigen Menschen so beschrieben: "Was mich hinaustreibt in die weite Welt, ist eben das, was so viele ins Kloster getrieben hat: Die Suche nach Selbstverwirklichung.“ Heinz Nußbaumer würde dem hinzufügen, dass man möglichst beide Wege gehen sollte, in die Welt hinaus und nach Innen - um irgendwann bei einer vielleicht gültigen Selbsterkenntnis zu landen. So hat es Nußbaumer jedenfalls angelegt .

Über seine Reise ins Innere, als Athos-Pilger hat der FURCHE- Herausgeber schon vor Jahren geschrieben: "Der Mönch in mir“ - wurde ein Bestseller. Nun erscheinen bei Styria-Premium die Geschichten jenes Heinz Nußbaumer, der für den Kurier die Welt bereist hat.

Vieles macht Nußbaumer dabei anders als andere Memoirenschreiber. "Meine kleine große Welt“ ist keine dieser verbitterten Abrechnungen mit irgendjemandem oder irgendetwas, es ist aber auch keine trockene Nacherzählung von 40 Jahren Weltpolitik.

Nußbaumer versetzt seine politischen Analysen mit persönlichen Eindrücken und Anekdoten: Hauptschauplätze sind Tibet und China, die USA, Deutschland, die Wende - und vor allem Arabien, Israel und der Nahe Osten, der kalte Krieg, die iranische Revolution. Die "Hauptrollen“ verteilt Nußbaumer an die Großen der Weltpolitik das ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Er selbst ist Kommentator, Rapporteur und sensibler Porträtzeichner. Hier ein Auszug über Chinas ehemaligen Ministerpräsidenten Tschu En-lai, den "roten Mandarin“, den Nußbaumer 1972 in Peking getroffen hat: "Durch Korridore und Säle, vorbei an argwöhnisch blickenden Wächtern, eilen wir gegen ein Uhr früh dem wartenden Tschu En-lai entgegen. Gebannt blicke ich in dieses rätselhafte Gesicht: in dunkle Augen, in denen sich Ruhe und Intelligenz, Zähigkeit und List widerspiegeln; auf buschige Augenbrauen voller Temperament und Lebensfreude; auf eine kantige Kinnpartie, die seine enorme Energie und Willenskraft ahnen lässt“.

Nußbaumer wird später einer der ersten Österreicher nach Heinrich Harrer sein, die mit chinesischer Genehmigung nach Tibet reisen dürfen.

Harrer war sieben Jahre dort, Nußbaumer durfte auf seinen Spuren gerade einmal sieben Tage weilen. Es reicht für eine lebens- lange Verbindung mit der tibetischen Kultur, Heinrich Harrer und dem Dalai Lama, mit denen Nußbaumer eine innige Freundschaft pflegte und pflegt.

Prägender Naher Osten

Nußbaumer bereist in mehr als 40 Jahren die Welt. Er schlägt sich durch Indonesien, begleitet Missio- nare, die mit Projektor, Leinwand und Westernfilmen die Bewohner von Papua-Neuguinea zum Glauben bringen, er geht mit arabischen Fischern zur See und erlebt die Nahostkriege zwischen Israel und seinen Nachbarn.

Das ist auch der Beginn der intensiven Auseinandersetzung mit Leben und Politik der Völker in der Region - und ihren scheinbar unlösbaren Konflikten: "Über Jahrzehnte hinweg sitze ich zwischen Stühlen - und spüre alle Zweifel, alle Widersprüche des Nahen Ostens auch in mir. Fassungslos stehe ich in und um Jerusalem vor der Gefühllosigkeit und Bauwut jüdischer Einwanderer und entdecke nur Minuten später in den Augen eines alten jüdischen Kaufmanns das ganze erlittene Leid seiner Generation.“

Aber Nußbaumer ist nicht nur Reporter, er ist auch Geheimdiplomat ohne Diplomatenpass. Er berät Bruno Kreisky, verschafft ihm einen Termin beim US-Präsidenten, er schreibt dem ägyptischen Präsidenten Sadat eine Rede, trifft den Schah, fährt in halboffizieller Mission zum libyschen Revolutionsführer Gaddafi nach Tripolis.

Mit ihm spricht er über den palästinensischen Terror und wird von Gaddafis Skurrilitäten überrascht. Etwa als er ein Geburtstagspräsent für Bruno Kreisky aussuchen soll: "Dann erlebe ich die bizarrste Modeschau meines Lebens: Drei unrasierte männliche Mannequins paradieren mit grob karierten amerikanischen Sportsakkos vor mir. Eines davon soll ich auswählen. Im Wissen um Kreiskys Alter und so ganz anderen Geschmack nehme ich letztlich irgendeines.“

Die Anekdotensammlung mehrt sich, als Nußbaumer schließlich Sprecher zweier Bundespräsidenten wird: Von Kurt Waldheim und Thomas Klestil. Waldheims politische Ächtung ist ein einschneidender Moment in der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Nußbaumer beschreibt seine fruchtlosen Missionen, den Präsidenten von der berüchtigten Watchlist zu bringen. Er blitzt ab. Kein Politiker will daran rühren, weder in den USA noch in Europa.

Ein anderes Selbstverständnis

Vielleicht eindrücklicher als die hohen Gespräche sind die Folgen der Waldheim-Affäre, die Nußbaumer am eigenen Leib zu spüren bekommt, als er in Manhattan zum Friseur geht: "Die junge Frau, die mich bedient, hat eben meine Haare eingeschäumt, als sie mich fragt, woher ich komme. "Aus Österreich“, sage ich und erwarte ein nettes Wort. Aber in diesem Moment beginnt die Friseuse aufgeregt zu hyperventilieren, ruft entsetzt "Waldheim-land“ - und wirft mich mit weißschäumenden Haaren aus dem Geschäft.“

"Meine kleine große Welt“ berichtet von einer Zeit, in der die Weltpolitik noch aus der Nähe zu beobachten war. In der auch der Journalismus ein anderer war, wie Nußbaumers Mentor Hugo Portisch im Vorwort vermerkt: "Damals wussten wir, dass wir nicht Voyeure, sondern Akteure der Weltpolitik zu sein hatten. Und wir waren es auch.“

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