" einen Weg durch die Wüste gewiesen"

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Kurz vor seinem 75. Geburtstag erhebt Heinz Nußbaumer, der Herausgeber der FURCHE, wieder einmal seine Stimme: In Österreich habe ein massiver geistiger Umbruch stattgefunden, quer durch alle Parteien - ob rechts oder links, ob christlich, liberal oder sozialistisch -werde jetzt von einer weitgehend gleichen, rigiden Flüchtlingspolitik geträumt. Sogar klare nationale Differenzen in der Asylpolitik hätten sich jüngst in Luft aufgelöst -zugunsten neuer Allianzen, neuer Achsen. Mit dem Versuch der Auflösung des Flüchtlingsheims in St. Gabriel gehe eine Erfolgsgeschichte von 26 Jahren zu Ende, in denen im Steyler-Missionshaus tausende Asylbewerber aufgenommen und von der Caritas betreut wurden. Religionsführer würden sich zwar noch immer bemühen, "Breschen der Mitmenschlichkeit zu schlagen", aber ein Aufbegehren ihrer Gläubigen sei nicht in Sicht.

Es ist eine gewichtige Stimme, die sich da erhebt. Ich kenne diese Stimme geradezu seit dem Anfang ihrer Existenz. Und es ist mir ein Bedürfnis, diese erste Begegnung zum 75. Geburtstag Heinz Nußbaumers in Erinnerung zu rufen.

Mit 24 schon einer der Besten

Am 5. Juni 1967 begann der Krieg, der später Sechs-Tage-Krieg genannt werden würde. Israel kämpfte gegen drei Armeen an drei Fronten. Die Sympathien der westlichen Welt galten den bedrängten Israelis, für die auch wir uns verantwortlich fühlten, nach Auschwitz, nach dem Holocaust. Fast alle Zeitungen schickten Sonderberichterstatter nach Israel. Für den Kurier entsandte ich Heinz Nußbaumer, damals erst 24 Jahre alt, aber schon einer der Besten.

Am nächsten Tag traf sein erster Bericht ein. Nußbaumer war ganz vorne mit dabei, bei der israelischen Armee, die die Ägypter quer durch den Sinai in die Flucht schlug. Doch Nußbaumers Bericht handelte nicht vom Feuer der Geschütze, nicht von den Panzerwagen, nicht von den Düsenjägern. Nußbaumer sah etwas ganz anderes: Schuhe. Viele hundert Schuhe, ausgezogen und weggeworfen im Sand der Wüste. Die ägyptischen Soldaten hatten sie ausgezogen und liegen gelassen, denn ihre bloßen Füße konnten sie auf ihrer Flucht schneller tragen als die ungewohnten Schuhe. Sie waren Fellachen, Söhne armer ägyptischer Bauern. In einen Krieg geführt, für den sie in keiner Weise vorbereitet waren. Sie hatten noch nicht gelernt, in Schuhen zu laufen. Darüber machte sich so mancher Korrespondent lustig. Heinz Nußbaumer zeigte sich betroffen. Eine seiner großen Qualitäten kam da zum Ausdruck: Mitgefühl mit den Schwachen zu haben. Verständnis und Gerechtigkeit für den Unterlegenen zu zeigen.

Weshalb ich heute daran denke, an diesen Bericht des Heinz Nußbaumer und an die vielen Berichte, Kommentare und Analysen, die er in all den Jahren danach schrieb? Weil mir dieser Bericht den Zugang zu dem ganz Besonderen in dem Journalisten und Menschen Heinz Nußbaumer öffnete, dessen 75. Geburtstag wir nun feiern. Ein Journalist, der sich nicht blenden lässt von der Entfaltung der Macht, nicht vom Glanz einer Kriegsmaschine und auch nicht von großen Worten.

Und deren hat er viel gehört. Die Liste der Namen derer, die Nußbaumer meist als erster und einziger österreichischer Journalist zu ihrer Meinung und Politik befragte, diese Liste liest sich wie das Who's who der politischen Prominenz in den letzten Jahrzehnten der Weltgeschichte.

Gandhi, Thatcher, Gaddafi

Alle deutschen Bundeskanzler, fast alle amerikanischen Präsidenten, all die Könige, Prinzen und Scheichs des Nahen Ostens, die Ministerpräsidenten Tschu En-Lai, Indira Gandhi, Margaret Thatcher ebenso wie die Revolutionsführer Muammar Gaddafi und Jassir Arafat und viele mehr gehören dazu. Alle Berichte und Interviews Nußbaumers zeichnete ein hervorstechendes Merkmal aus: Nußbaumer ringt immer um die Wahrheit, die Objektivität, aber nie um Äquidistanz, nie um Neutralität. Denn die gibt es nicht in Fragen des Rechts und der Gerechtigkeit. Wahr, objektiv, gerecht, das heißt Stellung zu beziehen und diese mutig zu verteidigen. Im Zweifelsfall bei Nußbaumer aber für den underdog zu sein, er/sie verdienen stets ein Quäntchen mehr an Verständnis.

Mit so manchem, worüber Nußbaumer schrieb, griff er selbst in die Politik ein, denn worüber er berichtete, was er sich an Ort und Stelle erarbeitete, was er auf seine Fragen bei den Großen erfahren hatte, das fand Beachtung. Beachtung in einer damals noch außenpolitisch ungemein interessierten Öffentlichkeit, bei Bundeskanzlern und Ministern, die noch ein Sensorium für das hatten, was in der Welt um uns vor sich ging, wissend, dass sehr wohl alles auch Rückwirkung auf Österreich hatte. Sie lernten aus Nußbaumers Berichten und scheuten sich nicht, von ihm noch mehr zu erfahren und damit ihr eigenes Wissen zu erweitern.

Die Suche nach der Wahrheit, das Eintreten für Gerechtigkeit und Fairness, auch das bewog Nußbaumer einer Berufung von Bundespräsident Kurt Waldheim zu folgen und die Leitung des Presse-und Informationsdienstes der österreichischen Präsidentschaftskanzlei und Funktion eines Sprechers des Bundespräsidenten zu übernehmen, de facto auch die eines Ratgebers. Und so mancher Journalist, der mit vorgefassten Meinungen die Hofburg betrat, verließ sie mit Hochachtung vor diesem Pressesprecher, der nichts schönzureden versuchte, aber unverrückbar an der Wahrheit festhielt und damit so manches Vorurteil in eine gerechte Beurteilung wandeln konnte. Und er half auch dem folgenden Bundespräsidenten, Thomas Klestil, die nächste große Aufgabe zu bewältigen: den beschädigten Ruf Österreichs wiederherzustellen. Die Beziehungen Österreichs zu seinen traditionellen Freunden wieder zu aktivieren.

Für Nußbaumer war das ein Aufbruch, die Chancen Österreichs zu nutzen. Bis er sich entschloss, sich wieder jenen Aufgaben zuzuwenden, die im Zentrum seiner jahrzehntelangen journalistischen Laufbahn standen: durch eigenes Tun für mehr Verständnis, mehr Gerechtigkeit, mehr Fairness in der Politik, der Gesellschaft und im Journalismus einzutreten.

Schuhe im Sand

So leitete er als Gastgeber das vielbeachtete Philosophicum im ORF, ist Mitglied des Vorstands der Initiative Qualität im Journalismus sowie des Presseclubs Concordia und Mitglied der Bruno-Kreisky-Stiftung. Und er ist der Herausgeber einer Zeitung mit großer österreichischer Tradition, einer Zeitschrift, die die Politik und Gesellschaft der Zweiten Republik führend mitgestaltet hat, Herausgeber der FURCHE.

Vor 15 Jahren wünschte ich dir, lieber Heinz, alles erdenklich Gute für dein so wichtiges Wirken für Österreich und meinte dazu: "Mit deinen Schuhen im Sand hast du uns einen Weg durch die Wüste zur Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Fairness auch im Journalismus gewiesen." Wir gehen diesen Weg noch heute.

Klartext | Von Manfred Prisching

Habsburg-Reminiszenzen

Den Balkan verbinden viele mit jenen Bildern, die sich für den Sommerurlaub empfehlen, und Steinhäuser, Fischer dörfer und Karstfelsen sind mittlerweile mit einer hinreichenden Dosis an romantischen Gefühlen angereichert worden, sodass wir sie einfach als schön empfinden, auch wenn sie im Grunde Ausdruck harter und erbärmlicher Lebensbedingungen waren. Im Süden finden sich Einflüsse der Jahrhunderte des Osmanischen Reichs, Handwerksläden, Moscheen, Kaffeehäuser.

Was mich aber immer wieder erstaunt, ist die (architektonische) Prägekraft der habsburgischen Monarchie, selbst in nur kurzzeitig beherrschten Gebieten. In der Untersteiermark, im größeren Laibach oder im kleineren Pettau, mag dies noch selbstverständlich sein, das war schließlich "eigenes" Gebiet; ebenso in der Innenstadt von Triest oder im von der Südbahngesellschaft gegründeten Hotelensemble von Opatija. Aber der Einfluss reicht über die unmittelbaren Nachbargebiete hinaus, in die großartigen Parkanlagen von Zagreb oder sogar in die westliche Hälfte der Promenade von Sarajevo; und zu den über das Land verteilten Schulbauten oder Bahnhofsanlagen. Das meiste, was in den Reiseführern den Touristen des oberen Balkans nahegelegt wird, ist habsburgisch, gebaut in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg -und man fragt sich, welche Szenerie übrigbliebe, wenn man sich alles aus dieser Monarchiezeit wegdächte. Es war ein umstrittenes, müdes, überholtes, zerfallendes Staatsgebilde; und doch war es in seiner Gestaltungskraft beeindruckend, in seiner ästhetischen Begabung, in seiner Durchwirkung von Gesellschaften und Landschaften. Es bleibt, trotz einschlägiger Studien, ein Rätsel. Unglücklicherweise kann man nicht die umgekehrte Schlussfolgerung ziehen: dass geringe kulturelle Gestaltungsfähigkeit soziale Stabilität verbürge. Denn dann wäre der kleine Habsburg-Nachfolger ziemlich stabil.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz

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