"Es ist und bleibt eine Nazioperette"

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Die heurige Ausgabe des Lehár-Festivals hat ein Nazi-Plagiat im Programm. Warum ein Hinweis im Programmheft zu wenig ist und sich Bad Ischl anspruchsvoll mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss: Historikerin Marie-Theres Arnbom im FURCHE-Gespräch.

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Die heurige Ausgabe des Lehár-Festivals hat ein Nazi-Plagiat im Programm. Warum ein Hinweis im Programmheft zu wenig ist und sich Bad Ischl anspruchsvoll mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss: Historikerin Marie-Theres Arnbom im FURCHE-Gespräch.

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Die Historikerin Marie-Theres Arnbom war von der fragwürdigen Wiederentdeckung von Fred Raymonds "Saison in Salzburg" beim Lehár-Festival in Bad Ischl entsetzt, da es sich um das Nazi-Plagiat des Welterfolgs "Im weißen Rössl" handelt. Sie hat ein vielbeachtetes Buch über die "Die Villen von Bad Ischl"(Amalthea Verlag) geschrieben. Im Interview mit der FUR-CHE spricht sie über Fred Raymonds Operette, Antisemitismus und die Vertreibung, Ermordung und Zwangsenteignung zahlreicher Künstler und Industrieller, die einst Villenbesitzer in Bad Ischl waren.

DIE FURCHE: Sie waren nach einem Besuch der Operette "Saison in Salzburg" beim Lehár-Festival entsetzt. Was hat Sie so schockiert?

Marie-Theres Arnbom: Mit welcher Selbstverständlichkeit man dieses Nazi-Plagiat vom "Weißen Rössl" spielt. Die Aufführung ist nicht schlecht und es wird auch auf die NS-Geschichte des Werkes im Programmheft hingewiesen. Das reicht aber nicht. Es ist und bleibt eine Nazioperette, die von Fred Raymond als Ersatzstück für den Welterfolg des von jüdischen Autoren und Komponisten geschaffenen Meisterwerks geschaffen wurde, dessen Aufführung damals verboten war. Der Inhalt ist fast identisch, der Text wurde von dritt-und viertklassigen Librettisten verfasst, da die erstklassigen ja vertrieben, interniert und ermordet wurden. In der Musik gibt es Anklänge an Paul Abraham. Man fragt sich, warum man dann nicht gleich Ralph Benatzkys Original spielt oder eine der zahlreichen anderen in Ischl geschaffenen Meisterwerke, die zum Teil anderswo wiederentdeckt werden, etwa von Barrie Kosky in Berlin. Aber wenn schon, dann müsste man die Geschichte auch auf der Bühne deutlich machen. Der eigentliche Skandal ist aber, dass zwei berühmte Schlager des schon vor der NS-Zeit erfolgreichen Fred Raymond in die Produktion hineingenommen wurden, deren Librettisten ins KZ kamen. Fritz Grünbaum ("Ich hab das Fräulein Helen baden seh'n") wurde ermordet und Charles Amberg ("Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche"), der wegen seiner Homosexualität ins KZ kam, überlebte seine Gefangenschaft nur ein Jahr.

DIE FURCHE: Was wünschen Sie sich von den Kulturverantwortlichen von Bad Ischl?

Arnbom: Es müssten vor allem jene Werke gespielt und ausgestellt werden, welche die weltpolitische und kulturelle Bedeutung spürbar machen, die Ischl einmal hatte. Man müsste endlich abrücken von Klischeegeschichten. Bad Ischl würde sich einen anspruchsvolleren Umgang mit seiner Vergangenheit und seinem Tourismus verdienen. Es gibt eben nicht nur den Kaiser und Lehár. Zahlreiche Persönlichkeiten, die diese Stadt geprägt haben, stehen viel zu wenig im Vordergrund, weil diese beiden "Kaiser" alles überstrahlt haben. Das Großbürgertum und nicht nur die Aristokratie, die Künstler, das ist das Spannende und natürlich, was mich immer interessiert und fasziniert hat, die vielen jüdischen Familien, denen man so furchtbar mitgespielt hat.

DIE FURCHE: Gab es den Antisemitismus schon in der Blütezeit von Bad Ischl oder ist er viel später gekommen?

Arnbom: Der Antisemitismus war immer schon da, wobei es nicht nur Antisemitismus war, sondern eine Haltung gegen die Städter. Man mochte sie einfach nicht. Dass ein Großteil von ihnen jüdisch war, ist noch dazugekommen. Es gab diese Kluft zwischen der bodenständigen Landbevölkerung und den kultivierten Großstädtern.

DIE FURCHE: Wie sehr hat der Ort von den jüdischen Familien profitiert?

Arnbom: Sie haben sehr viel Geld gebracht. Das wird ja immer so negativ dargestellt. In der Inflationszeit hatten sie die völlig verwahrlosten Häuser gekauft und renovieren lassen. Das bewirkte in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit der Zwanzigerjahre einen echten Aufschwung und brachte zahlreiche Arbeitsplätze. Es kamen auch orthodoxe jüdische Familien und es gab koschere Restaurants und ein ganzes Netzwerk für religiöse Juden. Man hat sie nicht gemocht, aber ihr Geld gerne genommen.

DIE FURCHE: Wie war die Atmosphäre damals? Arnbom: Die hat sich nach dem Ersten Weltkrieg sehr verändert. Der Hof war weg, die Aristokratie verarmt. Sie hatte auch keinen Grund mehr, nach Bad Ischl zu kommen. Die Atmosphäre hat sich in Richtung Neureiche verändert. Es entstanden Kinos, sehr viel mondänes Leben und es war einfach nicht mehr so gediegen wie früher. Es wurde alles lauter in der Zwischenkriegszeit und es gab Leute, die mit dem Geld nur so herumgeschmissen haben. Die Einwohner von Ischl profitierten zwar davon, konnten sich aber damit überhaupt nicht anfreunden und waren in einer gewissen Defensive. Das hat für die Atmosphäre nicht viel Positives gebracht.

DIE FURCHE: Kurort war Bad Ischl die ganze Zeit über?

Arnbom: Allerdings, aber die Kur ist in den Hintergrund gerückt, sie war in der Anfangszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg gefragt. Johann Strauss ist Kurgast gewesen, aber wenn ihm fad war, ist er Tarock spielen gegangen. Der Komponist Giacomo Meyerbeer ließ sich bei seiner Kur auf einem Sessel durch den Ort herumtragen. Richtige Kur gab es in Karlsbad. In Ischl war sie für die Promis nur ein Aufhänger und ein Vorwand. Man denke nur an die zahlreichen Kurschatten von Arthur Schnitzler.

DIE FURCHE: Welche Villen haben Ihnen den meisten Eindruck gemacht?

Arnbom: Da wäre zunächst die Villa Sonnenschein, deren Besitzer so außergewöhnlich war. Ein Einzelkämpfer, der es zu einem weltweit tätigen Industriellen brachte und dessen Villa arisiert wurde. 1952 wurde sie restituiert. Ein Teil der Familie war in Südamerika und ein anderer im kommunistischen Ungarn. Das war damals so nah und fern zugleich. Jene aus Südamerika hatten es leichter, nach Ischl zu kommen, hatten aber kein Geld und es kam dann niemand mehr. Die Villa wurde verkauft, abgerissen und durch ein riesiges, überaus hässliches Sozialversicherungsgebäude ersetzt. Eine für das 20. Jahrhundert signifikante Bausünde.

DIE FURCHE: Die Villa, die nach dem Lustspielautor des "Weißen Rößl" Oscar Blumenthal heißt, hatte dieser 1895 auf der Weltausstellung in Chicago entdeckt. Ein Transportwunder?

Arnbom: Blumenthal ließ dieses riesige Fertigteilhaus mit seinen Erkern und Türmchen, dessen Einzelteile ein Gesamtgewicht von 30.000 Tonnen hatte, nach Ischl bringen. Man muss sich vorstellen wie die Villa mit der Bahn in Ischl angekommen ist und wie sie am Waldrand in Lauffen zusammengesetzt wurde. Sie wurde arisiert, wechselte den Besitzer und wird jetzt zum Verkauf angeboten.

DIE FURCHE: Was ist an der Villa Schratt so interessant? Sie gehörte zuletzt ja dem Schauspieler Maxi Böhm und war dann ein Restaurant.

Arnbom: Die Schrattvilla gehörte nie der Schratt. Der Kaiser mietete sie für seine Freundin vom Bürgermeister. Dann kam sie in den Besitz einer populären Soubrette und 1932 erwarb sie der Librettist von Lehárs "Land des Lächelns", Fritz Löhner-Beda. Er war sehr angefeindet im Ort und es wurden ihm sogar Bomben vor das Haus gelegt. Er schrieb nicht nur Operetten und Schlager, sondern war ein kämpferischer jüdischer Aktivist, der die Assimilation der Juden ablehnte und Vorstandpräsident des jüdischen Sportvereins Hakoah Wien war. Er wurde angezeigt, verhaftet, enteignet und mit Frau und Kindern deportiert und ermordet.

DIE FURCHE: Besonders beeindruckt hat mich die Villa der Pianistin Ella Pancera, die ja noch vor gar nicht so langer Zeit ein etwas seltsames Museum war.

Arnbom: Frau Pancera war eine 1932 verstorbene Klavierwalküre. Ein Mannweib, das in erster Ehe mit dem Sohn des Klavierbauers Blüthner verheiratet und in zweiter mit dem um 21 Jahre jüngeren Angestellten des Gaswerkes Wilhelm Haenel. Er wurde zu einem der organisiertesten und menschenverachtendsten Ariseure, die man sich vorstellen kann. Er hat mit minutiöser deutscher Gründlichkeit alles aufgenommen, was es gegeben hat. Er lud die Villenbesitzer in sein Wiener Büro vor und zwang sie brutal, die Enteignungsformulare zu unterschreiben. Diese Systematik gab es in anderen Bereichen des Salzkammerguts nicht. Man fragt sich freilich, ob die Kunstschätze und Autografe in dem jetzt geschlossenen Museum wirklich alle aus dem Besitz der Frau Pancera sind. Ich glaube das nicht.

DIE FURCHE: Ihre Bücher zeigen immer wieder von Neuem, wie wenig die österreichische Geschichte aufgearbeitet wurde. Worüber schreiben Sie als Nächstes?

Arnbom: Über die Villen-und Wohnungsbesitzer am Attersee. Da gab es nicht nur Ignaz Brüll, in dessen Villa einst Johannes Brahms komponierte, oder Opernstar Maria Jeritza.

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