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Die geteilte Stadt

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Die freundliche, altösterreichisch geprägte Hauptstadt der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska, ein italienisch angehauchtes Klagenfurt oder Laibach, war vor dem ersten Weltkrieg eine stille Insel im bewegten Meer des Nationalitätenstreites. Die Bevölkerung der Stadt Görz war in der Mehrzahl italienisch, in der Minderzahl slowenisch, im

Kronlande „Görz und Gradiska“ lagen die Verhältnisse umgekehrt. Wollte man den temperamentvollen Ergüssen der Wortführer beider Nationen glauben, so waren diese einander spinnefeind. In ' der politischen Praxis aber gingen im Gemeinderat der Stadt die Liberalen beider Nationen, im Landtag die konservativen Vertreter von Italienern und Slowenen Hand in Hand. Es war nicht alles im alten Österreich so, wie es eine des politischen Klimas Altösterreichs unkundige Nachwelt zu sehen glaubt.

Von dieser verträglichen Art war nichts mehr übriggeblieben, als am 6. August 1916 italienisdie Truppen die Trümmer von Görz besetzten. Nach dem ersten Weltkrieg griff die italienische Grenze über Görz weit gegen Osten hinaus. Aber im jüngst abgeschlossenen Friedensvertrag mit Italien wurde dessen Provinz Venezia Giulia aufgeteilt und die jugoslawische Staatsgrenze von Idria und Adelsberg bis an den Isonzo vorgeschoben.

Nun bringen Schweizer Zeitungen ein Bild, das eindrucksvoll zur Schau stellt, nach welchen erleuchteten Prinzipien hiebei die Grenzziehung im Görzer Raum durchgeführt wurde. In absonderlichen Kurven trennt die neue Grenze den italienisch gebliebenen Stadtkern von dem großen schönen Bahnhof, der zur Hauptlinie Triest—Kara-wankcntunnel — Rosenthal —Villach gehört. Der große Görzer Bahnhof ist jetzt an Jugoslawien gefallen. Es bleibt der Stadt Görz nur der kleine alte Bahnhof der Cormonser Linie. Solche Schildbürgerstücke hat man nach dem ersten Weltkrieg genugsam erlebt und auch ihre Folgen. Man denke an den polnischen Korridor, die Teilung von Teschen, in deren Nachwirkung zwischen Polen und der Tschechoslowakei noch heute ungeklärte Grenzfragen bestehen. Aber nichts gelernt und alles vergessen, obwohl die empfangenen Lektionen sehr teuer gekommen sinjj.

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