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JULIANA / KÖNIGIN IM ZWANZIGSTEN JAHRHUNDERT

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Der Staatsbesuch Ihrer Majestät der Königin der Niederlande und Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen der Niederlande in V/ien macht die österreichische Öffentlichkeit in besonderem Maße auf die Königin Juliana aufmerksam. Die Königin der Nied:rlande ist mit ihrer Familie in Österreich zumal als Wintergast in den letzten Jahren eingekehrt. Prinz Bernhard,

ihr Gemahl, hat als Vorsitzender der Europäischen Kulturstiftung vor wenigen Jahren in der Wiener Hofburg deren Kongreß geleitet und ist durch sein waches, hochintelligentes Präsidium im besten Sinn des Wortes den in- und ausländischen Teilnehmern aufgefallen.

Königin Wilhelmina — heute zurückgezogen als Prinzessin Wilhelmina, nach ihrem Thronverzicht am 4. September 1948 ein guter Geist ihres Landes — hat ihrer Tochter Juliana die gute Zukunft vorbereitet und alle guten Wege geebnet, als sie sich entschlossen nach der Invasion Hollands durch Hitler an die Spitze des Widerstandes stellte. Wie nur selten in unserer Zeit, sind hier Menschen aus dem Volke, mit einem letzten Ruf ihrer Königin sich erinnernd, gestorben. In diesem Krieg, der Holland so furchtbare Opfer auferlegte, fand die junge Kronprinzessin Juliana mit ihrer Familie in Kanada Zuflucht. Der Ernst und die hohe Verantwortung, erweckt durch eine ausgezeichnete humanistische Erziehung, die ihren äußeren Abschluß im Jusstudium an der altberühmten Universität Leiden fand, haben diese Persönlichkeit geprägt. Als sie Königin wurde, bekannte sie sich mit Entschiedenheit zu ihrer Verpflichtung: „Ich wurde zu einer Aufgabe berufen, die so schwer ist, daß niemand, der sich hier auch nur

einen Augenblick hineinversetzt hat, sie begehren würde. Aber sie ist auch so schön, /laß ich nur sagen kann: Wer bin ich, daß ich dies tun darf?“

Eine Landesmutter sein: Wie oft ist dies Wort zur hohlen Phrase, wie oft ist dies Amt vertan worden. Die Königin Juliana der Niederlande hat in arbeitsreichem Leben die Sorgen ihres Volkes voll und ganz auf sich genommen. Höhepunkte bildeten ihr sehr persönlicher Einsatz während der Hochwasserkatastrophe 1953 und ihr waches Gegenwärtigsein bei der Umstellung Hollands von einem kolonialistischen Großreich zu einem Lande, das auf seinen engsten Raum und damit seine allernächsten Kräfte rückverwiesen ist. Juliana ließ ihre drei ältesten Töchter studieren — wobei sie den Rechts- und Staatswissenschaften, der Soziologie und der Volkswirtschaft ein besonderes Augenmerk zuwandte.

Volkswohlfahrt ist heute an Weltwohlfahrt gebunden: Das war der Sinn der großen, ergreifenden Mahnung, die Königin Juliana in ihrer großen Rede in Leiden am 18. Juni 1955 der Jugend der Niederlande und Europas vorstellte. Mit einem Freimut und einer Kühnheit, die weithin überraschten, erklärte da Königin Juliana: Der Gegensatz zwischen arm und reich, „haves“ und „have-nots“, bleibt

und ist die Hauptursache menschlicher Konflikte in allen Zeitaltern. West und Ost müssen kommunizierende Röhren bilden, wobei der Westen nicht daran denken soll, sich die Gunst des Empfängers zu erkaufen. „Niemand verkauft ja gern sein eigenes Wesen, sein Geburtsrecht für ein Linsengericht.“ — „Wir, die wir uns Christen nennen, haben uns der übrigen Menschheit nur allzuoft als Barbaren präsentiert, die nur auf das materielle Wohl bedacht waren — das eigene natürlich an erster Stelle.“ Juliana rief da zur Bildung eines Hilfskorps auf, wie es viele Jahre später Kennedy begann. Wenn, so erklärte die Königin, wir unsere Aufgabe verfehlen, wird die westliche Kultur keine Zukunft mehr besitzen.

Es weht etwas von der Einsamkeit der großen holländischen Humanisten aus dem Geblüt des Erasmus von Rotterdam um diese Königin, Humanistin, Christin. Diese Frau weiß, wie schwer es ist, an den Menschen zu appellieren, wenn ,es nicht um dessen allernächste Interessen geht..,

Wir haben also in Österreich alle guten Gründe und Verpflichtungen, diese bedeutende Europäerin, diese tapfere, klarsichtige Frau, die Königin der Niederlande, ernst, nachdenklich und dankbar in Wien in diesem Mai 1962 zu begrüßen ...

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