Hasentanz, Hasard und Heterosex an der Newa

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An der Grazer Oper zeigt Peter Konwitschny seine erste Inszenierung von Tschaikowskys | "Pique Dame“ - und strapaziert die notorischen Gemeinplätze des Regietheaters.

Vor fast dreißig Jahren gab es an der Grazer Oper eine bahnbrechend innovative Sicht auf Tschaikowskys opus summum: Der DDR-Kapazunder Christian Pöppelreiter schuf damals mit dem Grazer Bühnenbildner Jörg Koßdorff eine klare Werkanalyse, die Alexander Puschkins lieblose Novelle und die phantastisch-hoffmanneske Bühnenfassung der Brüder Modest und Peter Tschaikowsky aussöhnte und ihr größtes szenisches Plus in der begeisternden Gräfin von Martha Mödl hatte.

Männersuff und Sonnenbrillen

Nun bot sich Peter Konwitschny, derzeit Oberspielleiter der Oper Leipzig, der amtierenden Grazer Intendantin Elisabeth Sobotka für eine Koproduktion an. Neugierde war also berechtigt. Aber die immer noch sinnlos geltenden Moden des deutschen Feuilletontheaters schmälern das künstlerische Ergebnis. Während Tecwyn Evans mit dem Grazer Philharmonischen Orchester sich subtil in das Vorspiel vortastet, erscheint Hermann, legt auf einer Parkbank seine Uniformjacke und sich selbst mit der Wodka-Flasche zur Ruhe.

Wenig später benötigt ein Ammen- und Gouvernantenchor Sonnenbrillen gegen die Frühlingssonne. Als Graf Tomski, Tschekalinski und Surin aus dem Casino über ihren Kollegen, den Außenseiter Hermann, stolpern, müssen sie erst schnell einmal gegen einen von marschierenden Kindern mit einer 5000-Rubel-Fahne gezierten Fahnenmast urinieren. Die in hunderten Regietheaterregien zur Mode gewordenen Gemeinplätze der verinszenierten Vorspiele, des Männersuffs und der tarnenden Sonnenbrillen werden bedenkenlos strapaziert.

Konwitschny setzt auf Heraufholung in die Gegenwart bis hin zum Zigarettenrauchen der Zofe. Dass dabei auch der selbstmörderische Sprung Lisas in die Newa in Frage gestellt wird (derartige Liebestode sind in unseren Tagen doch wohl schon ein bisserl démodé), biegt sich die Inszenierung mit einem optischen Coup - die Tödin Mascha holt Lisa mit einer weißen Neureichenjacht - zurecht. Weniger Glück im Unglück hat die alte Gräfin: Um ihr das Geheimnis der drei Trumpfkarten zu entlocken, schreckt Hermann vor sexueller Attacke nicht zurück, was die einstige "moskowitische Venus“ in ihrer letzten Erregung nicht überlebt.

Grotesk entgleist der Frühlingsball: Unter dem Menetekel einer Neon-Karotte feiern die Stützen der postsowjetischen Gesellschaft im Hasenkostüm. Nein, an Playboy-Bunnies denkt der Regisseur dabei nicht, eher an Freund Harvey …

Musiziert wird an der Mur laut Konwitschny "gefällige Musik für die Opernärsche“, "Schrott, das gibt uns nichts mehr“. In Wahrheit hört man eine finessenreiche Partitur, bemüht dynamisch fein abgestimmt von Tecwyn Evans, und glanzvolle Passagen von tiefen Streichern, Holz und Blech. Die aus Vilnius stammende Asmik Grigorian gibt als Gast gefühlsintensiv mit dunkel timbriertem Sopran eine ansehnliche und berührende Lisa. Nicht weniger überzeugt das junge Südtiroler Ensemblemitglied Andrè Schuen als elegant seine Liebe erklärender Nobelbariton Fürst Jeletzki. Mit überraschender Selbstverleugnung porträtiert und singt (Fachwechsel ins Alt-Fach) Hausamerikanerin Fran Lubahn eine attraktive Gräfin. Bei der "Leihgabe“ Avgust Amonov, Tenor im Mariinsky-Theater St. Petersburg, der mit mittlerer Finesse einen herunterkommenden versoffenen Berufssoldaten markiert, fehlen Bühnenerscheinung und Schmelz, hörbar ausreichend sind aber seine Kraft-Reserven.

Ärger über Verhunzungen

Ausgerechnet in der Publikumszeitschrift Opernwelt, die seit 1995 Konwitschny fünf Mal zum "Regisseur des Jahres“ ausrief, weht seit 2010 dem gebürtigen Frankfurter ein rau-herber Wind entgegen.Gipfelnd in Verärgerung über dessen Zürcher Janácˇek-Verhunzung "Aus einem Totenhaus“, der Leipziger Gluck-Abwicklung "Alkestis“ und dessen Grazer "barbarischer sinnloser Strichfassung“ von Verdis "La Traviata“. Auf kritische Fortsetzung darf man gespannt sein.

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