Innere Inszenierungen

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Erziehungswissenschafter Bijan Amini hat einen neuen Traumtypus beschrieben: "Heilträume" versteht er als hilfreiche Botschaften in persönlichen Krisenzeiten.

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Erziehungswissenschafter Bijan Amini hat einen neuen Traumtypus beschrieben: "Heilträume" versteht er als hilfreiche Botschaften in persönlichen Krisenzeiten.

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Wieder einmal wirr geträumt? Träume sind Schäume, heißt es im Volksmund. Die moderne Hirnforschung bekräftigt in gewisser Weise diese Redensart, wenn sie die Auslösung von Träumen mit einer chaotischen Aktivierung von Nervenzellen während des Schlafs erklärt. Sofern möglich, werden diese chaotischen Signale im Vorderhirn mitunter zu einer stimmigen Geschichte integriert. Doch historisch gesehen ist es nicht ganz so einfach. Viele Kulturen haben im Träumen einen prophetischen Sinn erkannt. In der Antike hatten die Traumdeuter sogar Einfluss auf politische Entscheidungen. Im Laufe der Geschichte verlagerte sich ihre Kompetenz aus dem Dunstkreis von Religion und Politik in die rein "private" Sphäre der Psychowissenschaften.

Der Traum als "Königsweg"

Dass Träume eine herausragende Bedeutung in unserem Seelenleben haben können, hat Sigmund Freud an der Wende zum 20. Jahrhundert meisterhaft herausgearbeitet. Für den Nervenarzt aus Wien war der Traum der "Königsweg zum Unbewussten", den es mit dem neuen Kompass seiner Theorie zu beschreiten galt. Aber auch viele seiner Weggefährten und Nachfolger betonten den großen Wert der Träume. C. G. Jung etwa sah in den Traumbildern einen Zugang zu seelisch-mythischen Archetypen. In der Gestalttherapie gelten Träume als existenzielle Botschaften; ihr Mitbegründer Fritz Perls bezeichnete sie als "Königsweg zur Integration" verschiedenster Persönlichkeitsanteile.

Auch Bijan Amini ist fasziniert von der Botschaft der Träume. Der gebürtige Iraner ist zwar weder Arzt noch Therapeut, aber auch er beschäftigt sich mit seelischen Heilungsprozessen: 32 Jahre war Amini als Erziehungswissenschafter an der Universität Kiel tätig; in den 1990er-Jahren hat er dort ein neues Forschungsfeld begründet: die Krisenpädagogik. Diese befasst sich mit der Theorie und Praxis der Krisenbewältigung und vermittelt, wie man an Lebenskrisen wachsen kann. Sie ist im Vorfeld von Medizin und Psychotherapie angesiedelt und versucht zu helfen, noch bevor Menschen eine ärztliche oder therapeutische Behandlung in Anspruch nehmen müssen. "Vor fünf Jahren habe ich zufällig entdeckt, dass Menschen, die ich beraten hatte, in der Nacht träumten", erzählt Amini. "Immer wieder war ich erstaunt, dass der Traum die beste Lösung des Problems präsentierte." Er begann, Fallbeispiele zu sammeln, um zu dokumentieren, wie die krisenpädagogische Beratung durch die Traumdeutung bestätigt oder auch widerlegt wurde.

Autosuggestive Methode

Ende 2016 publizierte der emeritierte Professor ein Buch zu dieser neuen Form der Traumarbeit. Der Titel "Typologie der Träume" ist ein bisschen irreführend, denn hier wird nicht eine vollständige Kategorisierung von Träumen vorgelegt. Amini beschränkt sich auf drei Traumtypen, die in einem eher esoterisch anmutenden Spektrum der Traumforschung zu verorten sind: "Prophezeiungsträume" sind Träume, die auf künftige Ereignisse verweisen und in antiken Quellen oder in der Bibel bezeugt sind. "Lösungsträume" wurden von Wissenschaftlern dokumentiert , die sich hartnäckig mit einem Problem herumschlugen, aber erst im Traum den Schlüssel dafür fanden - so wie es dem Chemiker August Kekulé gelang, die Struktur des Benzol-Moleküls aufzudecken. Im Traum war ihm der Benzolring als Schlange erschienen, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Schließlich beschreibt Bijan Amini auch einen neuen Traumtypus, die "Heilträume". Hier wird es spannnd.

"Heilträume werden anschließend an das Beratungsgespräch autosuggestiv hervorgerufen", sagt Amini. Den Klienten wird nahegelegt, vor dem Schlafengehen bestimmte Formeln zu wiederholen, etwa "Sollte ich diese Nacht träumen, will ich mich an alle Details erinnern". Angesichts seiner Erfahrungen ist Amini von der Zuverlässigkeit der Methode überzeugt: "Heilträume kommen in neun von zehn Fällen gleich in der folgenden Nacht, manchmal aber auch einige Tage später. In der Regel bringt der Traum eine individuell maßgeschneiderte Lösung für das aktuelle oder sogar chronische Problem." So beschreibt der Autor unter anderem Krisen im Zusammenhang mit dem Ehepartner, der Berufswahl, wiederkehrenden Schuldgefühlen oder dem Kinderwunsch. Das Buch präsentiert 13 Beispiele für die Traumarbeit, die in Dialogform dokumentiert sind. Verwunderlich ist, wie schnell die richtige (bzw. problemlösende) Deutung meist zur Hand ist.

Traumwelten sind oft bizarr und rätselhaft. "Die Deutung der Träume erfolgt durch eine Kombination aus Logik, Fantasie und Kombinatorik", so Amini. Jedes Traumelement wird mit möglichen Entsprechungen aus der Realität in Verbindung gebracht. Der entscheidende Hinweis, ob man sich auf der richtigen Fährte befindet, ist emotionaler Natur. "Zuverlässig und echt im Traum sind einzig und allein die Gefühle der träumenden Person, und zwar sowohl während des Traums als auch nach dem Aufwachen", schreibt der Autor. Eine zutreffende Deutung führt bei den Betroffenen oft zu spontaner Erleichterung, Rührung und Glücksgefühlen. In den Video-Dokumentationen seiner Beratungsgespräche ist dies authentisch nachzuvollziehen.

Spontane Erleichterung

Wie aber lässt sich das erklären? Amini hat eine These parat: "In jedem von uns existiert ein innerer Arzt, Therapeut oder Ratgeber. Wir sollten auf ihn hören, können es aber nicht. Er spricht zu uns in unseren Träumen, aber leider nicht im Klartext, sondern in Rätseln. Diese müssen durch Deutung gelöst werden." Wie der Autor zeigt, ist das Konzept der "inneren Weisheit" auch im religiösen Sinn gut anschlussfähig. Seine Beratungen bietet der pensionierte Professor übrigens kostenfrei an.

Streng wissenschaftlich gesehen hat eine Sammlung von Fallbeispielen nur geringen Wert. Doch im weiten Land der Seele zählt nicht nur Wissenschaftlichkeit, sondern auch das simple Motto "Wer heilt, hat recht." Auch der Sinnspruch, den Ernst Jünger der zweiten Fassung von "Das abenteuerliche Herz" (1938) vorangestellt hat, erschiene wohl passend: "Dies alles gibt es also."

Weitere Informationen:

www.krisenpaedagogik.de

www.heilträume.de

Typologie der Träume

Krisenpädagogische Traumarbeit.

Von Bijan Amini. BellingsBooks 2016. 220 Seiten, kart., € 24,80

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