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Wie Psychotherapie-Klienten heute die Deutung ihrer Träume erleben.

Veronika sitzt in einem gemütlichen Lehnsessel neben dem knisternden Ofenfeuer. Schräg gegenüber lauscht die Psychotherapeutin ihrer Erzählung: Ein Nachbar habe sie verfolgt, entsetzlich beschimpft und zu schlagen versucht. "Es war ein sehr beklemmender Traum", sagt die 35-Jährige. Man sieht ihr an, dass ihr selbst die Erinnerung daran großes Unbehagen bereitet.

Veronika wundert sich über die geträumten Geschehnisse, denn in Wirklichkeit begegnet der Mann ihr immer freundlich. Ihr ist klar, dass der Nachbar im Traum Platzhalter für einen anderen ist. Nur, für wen? - Gemeinsam mit ihrer Therapeutin will Veronika diese Frage klären.

Traum als Königsweg

Nach Freud ist die wissenschaftlich systematische Traumdeutung der "Königsweg" zum Unbewussten eines Menschen. Psychoanalytiker halten die Erinnerung an einen Traum nach dem Erwachen nicht für den Traumvorgang selbst, sondern nur für eine "Fassade", hinter der sich das eigentliche Geschehen verbirgt. Sie unterscheiden deshalb zwischen einem manifesten Trauminhalt und den latenten Traumgedanken, die sich, aus dem ursprünglichen und verdrängten Es stammend, im Traum dem Ich aufdrängen. Macht man sich diese gewissermaßen schlummernden Gedanken bewusst, leistet man Traumarbeit. Diese kann helfen, Schritte auf dem Weg der Persönlichkeitsentfaltung zu fördern.

Dennoch wäre es verfehlt, möglichst viele Träume samt Deutungen zu "sammeln". Auch für Veronika ist die Auseinandersetzung mit ihrem Verfolgungstraum kein Selbstzweck. Sie leidet an Depressionen und unterzieht sich deshalb einer Psychotherapie. In der Einzelsitzung leitet die Therapeutin die Klientin an, zu den Traumelementen frei zu assoziieren und sie mit ihrer gegenwärtigen Lebenssituation in Bezug zu bringen - die Vorgangsweise in der Psychoanalyse.

"Traumarbeit im Sinne einer Deutung sollte nie losgelöst vom Träumenden stattfinden", betont Margret Aull, Psychoanalytikerin und Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie. "Es gibt keine allgemein gültige Symbolik." Das Traumsymbol Haus etwa wird in so genannten Traumbüchern generell als die eigene Person, das Ich, gedeutet. Baut der Betroffene aber gerade unter schwierigen Bedingungen sein Eigenheim oder ist er in Erbstreitigkeiten um ein Haus verwickelt, so muss dieses Traumsymbol vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehens mitunter anders verstanden werden.

Mythen und Märchen

Auch bei Carl Gustav Jung, ursprünglich ein Schüler Freuds, nimmt die Traumdeutung eine zentrale Stellung im therapeutischen Prozess ein, wobei er die Mitarbeit des Klienten ebenso wie Freud für unabdingbar hält. Der Analytiker nimmt zunächst die spezielle Lebenssituation des Klienten auf. Dann wendet er sich den Assoziationen des Träumenden zu und zieht Vergleichsmaterial aus Mythen und Märchen heran, die oft von archetypischen Figuren - etwa der "weisen Alten" oder der "großen Mutter" - geprägt sind. In diesen Archetypen spiegeln sich nach Jung grundlegende Inhalte des kollektiven Unbewussten.

Ein wenig märchenhaft mutet ein anderes Verfahren an, das aber dennoch wirksam ist: das von Hanscarl Leuner entwickelte "Katathyme Bilderleben", das Tagträume hervorruft. Der Therapeut gibt bestimmte Standardmotive vor - etwa Berg, Bach oder Wiese -, und der Klient, der sich in einem vertieften Entspannungszustand befindet, "füllt" die Bilder nach seinen eigenen Vorstellungen. Anschließend wird der Bildinhalt nach psychoanalytischen Grundsätzen interpretiert.

"Dass wir Träume in ihrer Bedeutung ernst nehmen und als Ausdruck unseres Seins wahrnehmen, verdanken wir letztlich der Traumtheorie Sigmund Freuds", sagt Verbandspräsidentin Margret Aull. "In seiner Interpretation von Träumen fokussiert Freud den ödipalen Konflikt. Heute erkennen wir aber, dass Träume nicht nur verdrängte sexuelle Wünsche ausdrücken können, sondern auch Verletzungen und Abgespaltenes aus früheren, vorödipalen Phasen oder das Verdrängen des eigenen Wollens."

Ambivalente Gefühle

So ist Traumarbeit für die Klienten meist schmerzlich, da sie ambivalente Gefühle erfahren und eine überholte Einteilung, etwa in Gut und Böse, überwinden müssen. Oft erkennen sie durch das Traumbild, dass eine innere Veränderung ansteht und es gilt, sich für eine neue Richtung zu entscheiden.

Veronika spürt den bevorstehenden Wandel ebenfalls, doch kann sie ihn noch nicht benennen. Ihre Therapeutin wendet nun eine Methode aus der Gestalttherapie an. Um das Traumgeschehen ins Hier und Jetzt zu holen, wird die Klientin gebeten, den Traum in der Gegenwart zu erzählen, eventuell im Rollenspiel nachzuspielen und einen Dialog zwischen zwei Personen oder Traumteilen zu erfinden.

"Häufig gibt es zwei verschiedene Traumteile - entgegengesetzte Pole, die einen solchen Dialog ermöglichen", erläutert Renate Hutterer-Krisch, klinische Psychologin und Gestalttherapeutin in Wien. Im Fall von Veronikas Traum sind diese Pole die Perspektiven der Verfolgten und des Verfolgers. In ihrem Bewusstsein identifiziert Veronika sich ausschließlich mit der Verfolgten. Die Therapeutin aber fordert sie auf, in die Rolle des Verfolgers zu schlüpfen und diese szenisch darzustellen.

"In der Gestalttherapie geht es um die Integration abgespaltener Persönlichkeitsanteile, die verleugnet werden", sagt Renate Hutterer-Krisch. Der Begründer der Gestalttherapie, Fritz Perls, formulierte analog zu Freud: "Der Traum ist der Königsweg zur Integration." Depressive etwa haben häufig ein Selbstbild, das eigene Aggression ausschließt. Auch Veronika meint von sich, nie aggressiv zu sein. Spielt sie jedoch die Rolle des Verfolgers in ihrem Traum, muss sie schimpfen und drohend die Hand heben.

Wiedergefundene Teile

"Wie fühlt sich das an?", fragt die Therapeutin. Es ist ein intensives Empfinden für Veronika, das schließlich zum "Aha-Erlebnis" wird. Zudem bemerkt die Therapeutin bei ihr eine körperliche Reaktion: Veronikas Gesichtszüge entspannen sich, und ihre Augen beginnen zu strahlen. "Gut fühlt sich das an", sagt sie, "angenehm."

Veronika erahnt nun, dass es in ihrer Persönlichkeit auch einen verdrängten, aggressiven Anteil gibt - verkörpert durch den schimpfenden Nachbarn im Traum. Jetzt, wo das Ofenfeuer zur Glut heruntergebrannt ist und sie bald aus dem Lehnsessel aufstehen muss, hat sie das verlorene "Bruchstück" ihrer Person wieder gefunden - und kann daran gehen, es in ihr Selbstbild zu integrieren.

Nähere Informationen unter

www.psychotherapie.at

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