Werbung
Werbung
Werbung

Die Guatemala-Ausstellung im Museum für Völkerkunde hat bislang 70.000 Besucher angezogen, blendet aber die Gegenwart aus.

Die Völkerkunde - zeitgemäßer: die Ethnologie - erforscht die kulturellen Äußerungen der Völker dieser Erde in ihrer jeweiligen Gesamtheit. Gemessen an diesem Anspruch ist die aktuelle Großausstellung des Wiener Museums für Völkerkunde als gescheitert zu bezeichnen. Einzig jener Teil der Ausstellung "Guatemala - Land des Quetzal", der sich mit den Alten Maya und der systematischen Zerstörung ihrer Kultur auseinandersetzt, bietet ein umfassendes Bild der Lebenswelt der Maya in der Zeit bis zur Conquista, der spanischen Eroberung des amerikanischen Kontinents. Jener Teil der Ausstellung, der sich auf das koloniale Reich von Guatemala bezieht, ist zweifellos eine schöne Kunstausstellung, aber keine ethnologische Schau. Vor allem fehlt jeder weitere Hinweis auf die Kultur der Maya, die nicht etwa mit der Kolonialisierung und Christianisierung im 16. Jahrhundert verschwand, sondern über die Jahrhunderte bis heute lebendig geblieben ist.

Das Siedlungsgebiet der Maya umfasst den Süden Mexikos und die Halbinsel Yucatán, Guatemala, Belize sowie einen Teil von Honduras und El Salvador. Die Anfänge der Maya reichen in das dritte Jahrtausend vor Christus zurück, ab 250 n. Chr. erlebte die Kultur der Maya ihre Blütezeit. Sie errichteten monumentale Pyramiden und betrieben intensive Landwirtschaft, sie lasen Bücher und rauchten Zigarren - und sie opferten einer Unzahl von Göttern Blut, das ihrer Feinde ebenso wie das eigene. Um das Jahr 900 erlosch die klassische Hochkultur der Maya aus bisher ungeklärten Gründen, nur auf der Halbinsel Yucatán konnte der Niedergang bis ins 15. Jahrhundert hinausgezögert werden.

Das Museum für Völkerkunde präsentiert einige herausragende Zeugnisse der Alten Maya: meterhohe Stelen mit Hieroglypheninschriften, auf denen Herrscher und ihre Taten sowie rituelle Feste verewigt wurden, anthropomorphe Gefäße, die als Grabbeigaben dienten, zum Teil prächtigen Schmuck aus Jade oder Obsidian und viele unspektakuläre, aber höchst aufschlussreiche Kult- und Alltagsgegenstände.

Als 1511 die ersten Spanier in Yucatán landeten, stießen sie nur noch auf die Ruinen einer versunkenen Hochkultur - und die Nachfahren jener, die Pyramiden, Tempel und gepflasterte Straßen hinterlassen haben. Systematisch zerstörten die Eroberer die schriftliche Überlieferung der Maya, bis heute sind nur vier originale Maya-Bücher in Hieroglyphenschrift erhalten, darunter der Madrider Codex, von dem ein Faksimile in Wien gezeigt wird. Weiters ausgestellt sind der "Bericht über die Dinge von Yucatán" des Franziskanermönchs Diego de Landa, das noch heute die Hauptreferenz für viele Aspekte der Mayakultur darstellt, sowie ein Manuskript des Dominikanerpaters Francisco Ximénez, dem die Überlieferung des "Popol Vuh", des berühmten "Buch des Rates" zu verdanken ist.

Jener Teil der Guatemala-Schau, der dem spanischen Kronland Guatemala (das vom Süden Mexikos bis Panama reichte) bis zu seiner Unabhängigkeit 1821 gewidmet ist, ist zum größten Teil eine Ausstellung von Kirchenschätzen: ausdrucksstarke Heiligenfiguren, prächtige Monstranzen, kunstvolle Tabernakeln. Beeindruckende Kunstwerke, die in einer Ausstellung des Kunsthistorischen Museums gut aufgehoben wären, allerdings aus ethnologischer Sicht ein völlig verzerrtes Bild jener Zeit vermitteln. Denn die Religion und die Kultur der Maya waren keineswegs verschwunden, sondern lebten in der indigenen Bevölkerung sehr wohl weiter. Nicht einmal über das Leben der nicht-indigenen Bevölkerung erfährt man Nennenswertes, historische Fotografien der 1773 nach einem verheerenden Erdbeben aufgegebenen Hauptstadt Santiago de los Caballeros, eines "barocken Pompeji", trösten darüber nicht hinweg.

Auch dass in Guatemala (aber nicht nur dort) noch heute Mayas in ihrer traditionellen Kultur - und unter ärmlichsten Verhältnissen - leben, wird verschwiegen; ein Umstand, der von zahlreichen Entwicklungshilfeorganisationen heftig kritisiert wird. Geradezu grotesk: Das Völkerkundemuseum zeigt stolz einen zoomorphen Mahlstein aus dem späten Klassikum (550 bis 900 n. Chr.). Kein Wort darüber, dass ebensolche Steine bei der Mayabevölkerung noch heute in Verwendung sind.

Bis 13. Jänner 2003

täglich außer Dienstag 10-18 Uhr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung