Von grausamen Göttern umzingelt

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Die Millenniumsangst ist unbegründet. Kalenderpriester aus dem Volk der Maya haben den Weltuntergang erst für das Jahr 2012 prognostiziert.

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Die Millenniumsangst ist unbegründet. Kalenderpriester aus dem Volk der Maya haben den Weltuntergang erst für das Jahr 2012 prognostiziert.

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Am 4. Ahau des 8. Cumku endet der Schöpfungszyklus. Das Ende aller Tage kommt an einem Sonntag in gut dreizehn Jahren, haben Schamanen und Kalenderpriester vor über tausend Jahren nach präzisen alten Formeln berechnet. In Guatemala fürchten sich deshalb viele Maya, nein, nicht vor dem 1. Jänner 2000, sondern vor dem 23. Dezember 2012.

In Tikal, im Nordosten Guatemalas, im undurchdringlichen Dschungel des Peten, stehen die höchsten und prächtigsten Pyramiden der Mayas. Gewaltige steinerne Monumente einer längst vergangenen Epoche. Der 741 n. Chr. geweihte "Tempel der zweiköpfigen Schlange" ist mit 71 Metern das höchste präkolumbianische Bauwerk auf dem amerikanischen Kontinent. Zum berühmten "Tempel des Großen Jaguars" gelangen wir über die 112 steilen Stufen der zentralen Außentreppe. Dann stehen wir vor dem Eingang zum Altarraum, 45 Meter über dem Blätterdach des Dschungels. Die Aussicht auf die Urwaldriesen und die zahlreichen Pyramiden ist grandios. Trotzdem sind wir froh, daß wir nicht vor 1200 Jahren hier waren. Im Tempel, auf der Spitze der Pyramiden fanden die blutigen Opferrituale und bizarren Kasteiungen der Maya statt.

Die Maya sahen sich von furchterregenden grausamen Göttern umgeben. Um diese zu besänftigen, mußte der Priester-König, der als einziger zu den Göttern Kontakt hatte, sein Blut opfern. Bei den rituellen Zeremonien stach sich der König mit einem Messer aus Rochenknochen und einem Dornenseil durch Zunge und Genitalien. Das Blut tropfte auf Pergament und wurde verbrannt, damit es zum Himmel aufsteigen konnte. Die Götter hatten den Menschen aus ihrem Blut geschaffen, also mußte ihnen das Blut zurückgegeben werden, damit die Sonne aufgeht, Regen fällt und der Mais wächst.

Die Spanier erwartet Den christlichen Missionaren, die mit den spanischen Konquistadoren in die Mudo Maya gelangten, kam dieses Ritual bei der Bekehrung entgegen. Ein Gottkönig, der sein Blut zur Rettung der Menschen am Kreuz vergießt, war den Maya geläufig. Die Maya hatten die Spanier, die 1519 auf der Yucatan vorgelagerten Insel Cozumel landeten, auch erwartet. Ihre Priester hatten für Karfreitag, den 22. April die Rückkehr des weißen und bärtigen Kukulkan, ihres mystischen Gottes und Kulturstifters, vorhergesagt. Er werde auf einem "von hellen Flügeln bewegten schwimmenden Turm" aus dem Osten kommen. Kein Wunder, daß die Maya Hernando Cortez mit dem wohltätigen Kukulkan verwechselten.

Die Maya wurden lange als friedliches Volk angesehen, das Sterne beobachtet und Kalender anfertigt. Die Wahrheit ist grausamer. In Chizen Itza sehen wir den größten Ballspielplatz Yucatans. Der 168 Meter lange Platz war von Mauern umgeben.

Es galt, den Ball durch einen der beiden Ringe, die bei der Hälfte des Platzes am oberen Rand der Mauern angebracht waren, zu schleudern. Die Spieler ähnelten Gladiatoren mit Brustpanzer und Hüftschutz. Der zwei Kilo schwere Kautschukball durfte mit den Händen nicht berührt werden und nicht zu Boden fallen. Diese Ballspiel war allerdings kein Spiel, sondern ein sakrales Ritual. Es ging um Leben und Tod. Die Verlierer wurden geköpft und den Göttern geopfert.

Die Sonne aufwecken Eine der berühmtesten Figuren, vor der sich täglich Tausende Touristen fotografieren lassen, ist die Statue des halb liegenden Regengottes Chaac Mool. Vor dem Tempel der Krieger hält er eine Schale, in der die Mayas vor 1000 Jahren die Herzen ihrer Feinde einem schrecklichen und rachesüchtigen Gott opferten. Bei lebendigem Leib schnitten sie den Gefangenen die Brust auf und rissen ihre Herzen - noch warm und blutig - heraus.

Das Kastell, die berühmte Pyramide von Chichen Itza, zeigt die erstaunlichen Leistungen der Maya. Sie waren blendende Astronomen und Mathematiker, die Kalender erstellten und Sonnenfinsternisse berechneten. Das Kastell hat vier Treppen mit jeweils 91 Stufen. Mit der Plattform ergibt das die Zahl 365. So viele Stufen also wie das Jahr Tage hat. Eine astronomische Meisterleistung ist die Ausrichtung des Bauwerkes. Zweimal im Jahr, jeweils zur Tag- und Nachtgleiche, malt die untergehende Sonne einen gezackten Schatten auf die Stufen der Pyramide. Für sechs Stunden, von 12 bis 18 Uhr, kehrt damit die gefiederte Schlange, der Gott Quetzalcoatl, zurück.

Während in Europa noch das finstere Mittelalter herrschte, berechneten die Maya bereits den exakten Lauf der Gestirne sowie Sonnen- und Mondfinsternisse. Sie fürchteten, daß die Welt untergeht, daß der Mond die Sonne "auffrißt". In manchen Gegenden versuchen die Nachfahren der Maya, bei einer solchen Finsternis die Sonne aufzuwecken, indem sie mit Töpfen und Pfannen einen höllischen Lärm machen. Der Sonnenkalender der Maya (18 Monate mit 20, einer mit acht Tagen) ist erstaunlich genau; ihre Planetenbahnen stimmen bis auf wenige Minuten; sie führten die Null ein und schufen eine eigene Schrift, die bis heute noch nicht ganz entziffert ist. Die klassischen Maya besiedelten zwischen 250 und 900 n. Chr. Mexiko (Yucatan), Guatemala, Honduras und Belize. Die wichtigsten Städte waren Tikal und Uaxactun, (Guatemala), Copan (Honduras), Chizen Itza, Tulum, Uxmal und Palenque (Yucatan).

Die schönste Maya-Ruine ist aber zweifellos Tulum, 70 Kilometer südlich von Cancun. Hoch über dem türkisfarbenen karibischen Meer erhebt sich auf einer palmengesäumten Klippe der Tempel mit der ältesten Jahreszahl. Meterdicke Mauern schützen den Tempelbezirk, der sich nur zum Meer öffnet. Idyllische weiße Sandbuchten, Leguane und Pelikane, bilden eine wunderbare Kulisse.

Sehr eindrucksvoll ist Coba, 50 Kilometer landeinwärts von Tulum gelegen und erst teilweise ausgegraben. Keine Autobusse, kaum Touristen. Ein reizvoller Kontrast zum touristischen Chizen Itza, wo unzählige "Alter"tums- und Devotionalienhändler den Yankees die Pesos aus der Tasche ziehen. Coba hingegen ist den US-Amerikanern zu naturbelassen. Wer trotzdem oder deswegen hinkommt, wird mit einem kleinen Regenwaldabenteuer belohnt. Der schmale Weg führt eineinhalb Kilometer durch den Dschungel. Es ist heiß und schwül. Tukans und Brüllaffen schreien. Nach einer halben Stunde kommen wir zur gewaltigen Nohoch-Mul-Pyramide. Mit 40 Metern ist sie der höchste Sakralbau Yucatans. Beim Aufstieg zur Tempelplattform ist aufzupassen. Im Gegensatz zu Chizen Itza wird Coba nur konserviert, aber nicht restauriert. Die über hundert Stufen sind unregelmäßig, manche niedrig, andere wieder höher. Der Blick vom Tempel über die Baumriesen ist jedoch gewaltig. Ein einziger dunkelgrüner Urwald, soweit das Auge reicht.

Die Städte verlassen Die Maya haben neben den Azteken in Mexiko und den Inkas in Peru eine der prächtigsten vorkolumbianischen Hochkulturen geschaffen. Tikal hatte um 750 n. Chr. über 45.000 Einwohner; hundert Jahre später war es verlassen. Im Gegensatz zu Azteken und Inkas wurde die Mayakultur nicht von den spanischen Konquistadoren zerstört. Sie zerfiel, teilweise lange, vor den Eroberungen. Die Städte wurden weder durch Krieg (wie Karthago) oder Naturkatastrophen (wie Pompeji) vernichtet, sondern einfach vergessen. Die Maya verließen prächtige Städte, verschwanden ohne ersichtlichen Grund im Urwald und kehrten nie zurück.

Der Besuch in der Welt der Maya läßt viele Fragen offen: Sie kannten weder Metallwerkzeuge noch Rad, bauten aber prächtige Tempel und Paläste. Sie nutzten weder Pflug noch Zugtiere und ernährten Städte mit 100.000 Einwohnern. Ihre Zeitrechnung endet am 23. Dezember 2012. Doch Fürst Pakal, der große Regent von Palenque, dessen Grab 1957 freigelegt wurde, hat seine Rückkehr für den 21. Oktober 4772 prophezeit. Ein letztes Rätsel, das erst die Zukunft lösen wird.

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