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Noch Marxismus?

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Der Marxismus na t nur aann eine Zukunft, wenn er nicht als ein Glaubensbekenntnis und eine Formel zur Erklärung aller Formen der gesellschaftlichen Realität verstanden wird. Auf diesen Nenner läßt sich, das Ergebnis der Umfrage unter sieben Männern der Wissenschaft und der Publizistik bringen. Von allen Befragten räumt nur Hollitscher dem Marxismus den Charakter einer Weltanschauung ein. Die anderen Teilnehmer konzedieren dem Marxismus zum Teil eine Zukunft als wissenschaftliche Methode: Klenner ordnet dem Marxismus als besondere Aufgabe die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Entfremdung zu, März sieht den Marxismus als empirische Soziologie mit wachsender wissenschaftlicher Bedeutung, und Reichhold konstatiert, daß die marxistische Methode der Gesellschaftsbetrachtung „solange aktuell bleiben wird, solange es Klassenschichtungen mit einem ökonomischen Unterbau geben wird“. Zum Teil werden dem Marxismus, auch bei größter wissenschaftlicher Reserviertheit, historische Verdienste zugestanden: So Dobretsberge r und Ker- s cha gl. Auf die wunde Stelle eines Marxismus, der sich unter dem Einfluß der historischen Entwicklung und der Ideologiekritik aufgeweicht hat, weist Burghardt: „Ist der Marxismus, wenn er sich bemüht, Ideologie durch wissenschaftliche Interpretation zu ersetzen und seine monokausalen Untersuchungsmethoden an jene der modernen Soziologie anzupassen, noch Marxismus?“

Wenn der moderne Marxismus sich endgültig vom Glauben an die Automatik aller gesellschaftlichen Entwicklung abgrenzt; wenn er vom vereinfachenden, nur auf das Privateigentum an Produktionsmitteln abgestellten Zweiklassenschema abgeht und sich zu einem stärker differenzierten Klassenbegriff durchringt; wenn er die Hoffnung auf eine perfekte, alle sozialen Spannungen aufhebende Gesellschaftsform in das Reich der Utopie verweist; wenn er auf hört, auf den einen großen Sieg des Sozialismus zu hoffen und sich eher um die vielen möglichen kleinen Siege bemüht — wenn der Marxismus alle diese Wandlungen durchgemacht hat, dann ist es letztlich eben nur eine Frage der Terminologie und des Geschmacks, ob man diesen Marxismus noch Marxismus nennt.

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