Täglich genannt, aber niemandem bekannt ... Titel

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Die erste Biographie des Mannes, der unter großen Opfern die Werke Mozarts katalogisierte.

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Die erste Biographie des Mannes, der unter großen Opfern die Werke Mozarts katalogisierte.

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Erstmals eine Biographie des Ludwig Ritter von Köchel. Köchel? Ein Name, den Musikfreunde fast täglich hören, der im Radio bei jeder Ansage eines Mozart-Werkes fällt. Das Köchel-Verzeichnis müßte eigentlich Mozart-Verzeichnis heißen, so, wie es etwa ein Bach-Werke-Verzeichnis (BWV) gibt. Sobald wir aber wissen, wer hinter diesem Namen steht, welches Lebenswerk für Mozart mit ihm verbunden ist, kommen wir zum Schluß, daß die häufige Gratis-Nennung seines Namens der geringste Lohn ist, den er sich verdient hat. Denn er hat elf Jahre seines Lebens und die Hälfte seines nicht unbeträchtlichen Vermögens geopfert, um das Werkverzeichnis Mozarts zustande zu bringen. Grund genug, endlich auch sein Leben genauer zu erforschen.

Dieser Aufgabe hat sich der gebürtige, in London lebende Wiener Thomas Edmund Konrad mit wahrer Hingabe unterzogen. Er tat alles, um das Thema wirklich erschöpfend zu behandeln. Was nicht ungefährlich ist. So, wie Ludwig Ritter von Köchel kein hochspezialisierter Musikwissenschaftler war (dergleichen gab es zu seiner Zeit noch kaum), so erweist sich auch Konrad als begeisterter und fleißiger "Liebhaber". Köchel (1800-1877) war durch Studien in Naturwissenschaften und Jurisprudenz im systematischen Denken und Forschen geschult. Seine Interessen erstreckten sich auf Botanik und Mineralogie ebenso wie auf Musik. Kurz, er verfügte über eine im besten Sinne humanistische Allgemeinbildung, wie sie heute kaum noch anzutreffen ist. Das Verzeichnis seiner Werke, das Konrad nicht aufgelistet, aber in seinen Text eingefügt hat, enthält Untersuchungen über die Mineralogie des Landes Salzburg ebenso wie eine Abhandlung über die kaiserliche Musikkapelle am Wiener Hof. Seine botanischen Interessen führten dazu, daß neu entdeckte Pflanzen nach ihm benannt wurden. Das Gymnasium im heimatlichen Krems an der Donau ist heute noch stolz auf die Herbarien und die Gesteinssammlung, die er ihm vermachte.

Ein solcher Mann mußte ahnen, worauf er sich einließ, als er tat, was mehr als ein halbes Jahrhundert nach Mozarts Tod überfällig war. Andere riefen danach, er machte es, etwa zur selben Zeit, als Otto Jahn die erste wissenschaftliche Mozart-Biographie schrieb. Mozarts Originalhandschriften sowie verläßliche Abschriften und Erstdrucke waren längst in alle Welt verstreut. Es war höchste Zeit, sie zu erfassen, zu ordnen, Originale nach besten Kräften von Fälschungen zu unterscheiden. Jahrelang ist Köchel durch Europa gereist, hat in Bibliotheken und Sammlungen gestöbert, bei Privatbesitzern um Erlaubnis zu Einsichtnahme und Abschrift gebettelt. Niemand hat ihn unterstützt oder "gesponsert". Köchel wußte, daß er bestenfalls die Grundlage schaffen konnte für die Weiterarbeit anderer.

Als er endlich sein Buch in Händen hielt, machte er aller Welt die Hölle heiß, nun endlich an eine kritische Ausgabe sämtlicher Werke Mozarts zu gehen, stellte sogar anonym einen Teil der Kosten bereit. Tatsächlich war es ihm vergönnt, vor seinem Tode noch den ersten Band dieser, heute als "Alte" bezeichneten Werkausgabe zu erleben, die in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts durch die "Neue" ersetzt wurde. Aber auch die war ohne Köchels Vorarbeit nicht denkbar.

Seit das Köchel-Verzeichnis vorliegt, ist es diskutiert, ergänzt, revidiert, kritisiert worden. Aber kritisieren kann man nur, was erst einmal geschaffen wurde. Kritisieren kann man auch die Arbeit von Konrad. Er hat nicht nur das Leben Köchels erforscht, von den Ahnen bis zu den vielen Nutznießern seines Vermögens, das er trotz aller Mozart-Opfer noch vererben konnte. Konrad erzählt den Werdegang Köchels, in dessen Leben die Jahre als Hauslehrer bei den Söhnen Erzherzog Karls eine entscheidende Rolle spielten. Karl war jener Bruder von Kaiser Franz, der bei Aspern den ersten Sieg über Napoleon erfochten hatte. Wir erfahren auch, daß Köchel in jungen Jahren gedichtet und komponiert, und daß er nach der Mozart-Arbeit dem kaiserlichen Hofkapellmeister Johann Josef Fux (1660- 1741) eine Biographie und ein Werkverzeichnis gewidmet hat. Entstehung und weiteres Schicksal des Köchel-Verzeichnisses nehmen freilich den breitesten Raum ein.

Konrad hat die besten Quellen und die verläßlichsten Berater herangezogen und ist mit großer Sorgfalt vorgegangen. Aber die Breite der Darstellung bringt es mit sich, daß die Ränder unscharf werden. Daß Fehler auftreten, wo es keine Fragestellung und keine Zweifel zu geben schien. Übersetzungs- und Druckfehler tun ein übriges. Da wird aus dem Großherzog der Toscana ein Großfürst, da wird die berühmte Bergakademie von Freiberg (Sachsen) nach Freiburg verlegt, da wird der Dichter Nikolaus Lenau wie ein ganz Fremder sehr genau vorgestellt. Kaiser Franz verschickt ein Telegramm, Ungarisch-Altenburg wird zu Ungarisch-Altstadt. Das sind alles nur Fehler am äußersten Rand. Ärgerlicher ist, wenn dem Hagestolz Köchel mehrmals (wenn auch nicht direkt) ohne Spur eines Beweises homosexuelle Neigungen unterstellt werden.

Weltberühmt und unbekannt. Ludwig Ritter von Köchel, der Verfasser des Mozart-Registers.

Von Thomas Edmund Konrad, Böhlau Verlag, Wien 1998, 270 Seiten, geb., öS 398,

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