Von Mythen und Medien

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Filmische Installationen und Aktionen im Museum Moderner Kunst in Wien.

Lange Zeit tanzten und sangen unsere Vorfahren mit bemalten Körpern ihre Mythen im Rahmen ihrer liturgischen Feste. Ganz selbstverständlich ereigneten sich dabei Gesamtkunstwerke, die alle Sparten der Kunstproduktion mit einbezogen. Wie in allen anderen Lebensbereichen entwickelten sich auch in der Kunst mehr oder minder geschlossene Abteilungen heraus, für die Spezialisten arbeiten. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert versuchen immer wieder einzelne Künstler, neuerlich zu einer Form des Gesamtkunstwerks zurückzufinden, wenngleich unter den neuen kulturellen Gegebenheiten etwas anders geartete Ergebnisse herauskamen. Frei nach dem Motto, dass Grenzen - hier der Kunstspartentrennung - ohnedies nur dazu gemacht worden sind, um sie übertreten zu können, tauchen neue Überschneidungen und nie da gewesene Mixturen auf. Beim Gang durch die Ausstellung X-Screen im Museum Moderner Kunst wird man den Verdacht nicht los, dass die dort präsentierten Arbeiten ebenfalls dieser Grundidee nachhängen.

Freilich, die für die ersten zwei Drittel des 20. Jahrhunderts typischen neuen Medien, sprich das Kino mit seinen Ablegern, stehen dabei im Mittelpunkt, um die Ausschöpfung von deren Möglichkeiten dreht sich alles. Und geht man daran, eine Querschnittausstellung zu erarbeiten, kann man entweder versuchen, alles über einen Kamm zu scheren. Oder aber man lässt das Disparate, weil es ehrlicher und überzeugender ist, zu, wie es in dieser Schau so angenehm geschehen ist. Denn bezieht man sich gleichzeitig auf Andy Warhols "Exploding Plastic Inevitable" - bestehend aus je fünf frei beweglichen Film- und Diaprojektoren, vier Stroboskopen, drei Verfolgungsscheinwerfern, zwei Diskokugeln, drei dröhnenden Lautsprechern und einigen Tänzern - und auf Nam June Paiks "Zen for Film", wo dieser vor einer Weißlichtprojektion Schattenspiele vollzog, kann man nur die Unterschiede als verbindendes Element einsetzen.

So nennt Kurator Matthias Michalka drei Kategorien, die sich für ihn anhand der historischen Praktiken und Diskurse als Gliederung aufdrängten. "1. Erweiterungen des Projektionsfeldes in Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Formen der Perzeption und Partizipation." Teilweise durch eine Überfrachtung des Mediums durch eine unbewältigbare Menge an Information, teilweise durch die Gegenbewegung einer Reduktion auf die filmischen Eckdaten wie Licht, Leinwand und Bewegung versuchte man einer inhaltlichen Bedeutungsschwere zu entgehen. Zweitens aus der Analyse der Medien und der Offenlegung ihres illusionären Charakters wollte man das filmische Bild als bewusstseinsbildendes Instrument einsetzen und so aufklärerisch wirken. "Drittens Untersuchungen zum Verhältnis von medialem Bild und physischem Raum." In der Differenzierung von visueller, körperlicher und sozialer Wahrnehmung kämpfte man gegen die Vorherrschaft des Visuellen in unserer westlichen Kultur an. Auch wenn damit die uns heute vertraute optische Reizüberflutung nicht aufgehalten wurde; zumindest kann niemand mehr sagen, er hätte nichts gewusst.

Wie geht nun die hier allenthalben geäußerte Kritik am Visuellen mit der Rückbindung an das religiöse Gesamtkunstwerk aus grauen Vorzeiten zusammen? Selbstverständlich nicht als bequeme Einbahnstraße, aber eine gewisse Parallelität zwischen der Überwindung der Vordergründigkeit des Alltags durch religiöse Praktiken und einer Überwindung der Vordergründigkeit des Bildschirms durch künstlerische Überschreitungen ist zumindest bedenkenswert. Auch wenn wir immer nur auf Oberflächen im Vordergrund verwiesen bleiben - jedes Aufreißen einer Oberfläche gibt uns bloß den Blick auf die nächste Oberfläche frei -, zufrieden geben wir uns damit nicht. Weder als die alten Gottesgläubigen, noch als die neuen Medienskeptiker.

X-Screen. Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre

Museum Moderner Kunst Stiftung

Ludwig, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Bis 29. 2. Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr

Katalog:

X-Screen. Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre. Hrsg. von Michalka Matthias,Köln 2003, 216 S., e 38,-

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