Zeitgeist und Widerspruch

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Mit "Jonny spielt auf" würdigt das Tiroler Landestheater Ernst Kreneks 100. Geburtstag.

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Mit "Jonny spielt auf" würdigt das Tiroler Landestheater Ernst Kreneks 100. Geburtstag.

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Ernst Krenek - Zeitgenosse des 20. Jahrhunderts" ist zum 100. Geburtstag im Tiroler Landestheater zweifach präsent: im Foyer mit der Wiener Wanderausstellung, die den Pionier der Moderne in Wort und Bild dokumentiert, und auf der Bühne mit der Innsbrucker Erstaufführung von "Jonny spielt auf". Übrigens der einzigen Opernproduktion in Österreich zum Jubiläum des Komponisten. Das Werk hatte 1927, bei der Leipziger Uraufführung und danach an über 100 Theatern wie ein Fanal gewirkt, in seiner Polarisierung der alten Welt und der kraftvollen neuen wie ein befreiendes Symbol eingeschlagen. Seine Popularität gipfelte in der "Jonny"-Zigarette!

All das ist heute kaum noch nachvollziehbar. Die sogenannte Jazz-Oper, die keine ist, aber immerhin mit ihrer flotten Tanzmusik im Kontrast zum großbesetzten, "modern"-dissonanten Orchester damals recht revolutionär gewirkt haben muss, ist jetzt aus ihrem antithetischen und ambivalenten Zeitgeist heraus eher historisch interessant. Regisseurin Tatjana Rese konturiert nicht nur die werkimmanenten Widersprüche der Figuren und Ideen, sondern mischt auch politische Anspielungen in ihre Inszenierung. Dabei kommt aber das Suggestiv-Verführerische, das Bezwingende der Jonny-Welt, wie Krenek es in seinem Libretto zum Ausdruck bringt, zu kurz.

Das liegt vor allem an der brüchigen Titelfigur selbst. Den sonst so lockeren Komödianten Dale Albright hat man in der Rolle des schwarzen Jonny als Blondschopf mit Farbflecken im Gesicht äußerlich ebenso verkehrt hergerichtet, wie er auch als Darsteller Opfer einer Fehlbesetzung und Fehldeutung ist. Was immer das Motiv für die Entstellung der Figur sein mochte - etwa missverstandene political correctness? - dieser Typ wirkt unecht, hat kein Charisma. An Biss und Zündkraft mangelt es allerdings auch seiner allzu braven "Jazzband". So bleibt Kreneks Utopie von der "Urkraft", vom Glanz und Tanz der neuen Welt, die das "alte Europa beerbt", nur ein blasser Traum.

"Der eigentliche Schöpfer des Opernkunstwerks ist der singende Darsteller", sagt Krenek. In diesem Sinne überzeugt eher Max, der "Gletschermensch": Die autobiographische, vergrübelte Figur des Komponisten (den es ja immer wieder in Tirols Bergwelt zog) findet mit seiner schwermütig-expressionistischen Diktion in Mathias Schulz einen glaubhaften Interpreten mit heroischen Höhen. Rundum schillernde Typen einer zügellosen Zeit: die triebhafte Sängerin Anita (Agathe Kania mit entnervtem Dauerforte), die kokett-naive Zofe Yvonne (Anja Scholz), der Modegeiger und Frauenheld Daniello (markig: Joachim Seipp), Manager Frederic Grager, Hoteldirektor Heinrich Wolf, groteske Polizisten und der beweglich choreographierte Chor bringen schrill ironisiertes Leben auf die postmodern-surreale Bühne der Bettina Munzer. Da steht das Klavier am tuchverhüllten Gletscher, sorgen riesige Jonny-Buchstaben auf Rädern für Verwandlungen, feine Lichteffekte für Stimmungen. Und die Kostüme fangen das Flair der zwanziger Jahre ein. Dass die Regie immer wieder Fliehende mit Koffern über die Bühne hasten lässt, holt ebenso wie ein Radio mit Hitlerstimme assoziativ-beklemmend die Politik der Zeit herein, die Kreneks Oper als "entartet" verfemte und den Komponisten aus Österreich vertrieb.

Das Wichtigste findet im Orchestergraben statt: Der junge Patrick Furrer leitet den großen Klangapparat mit fester Hand, verteilt Schärfen und Lyrismen gerecht, dosiert und gestaltet die Balance zur Bühne intelligent und hat viel Anteil am Erfolg.

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