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„Tonny” in Salzburg

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Vor 40 Jahren fand im Leipziger Stadttheater die Uraufführung einer Oper statt, die alsbald in 18 Sprachen übersetzt und von mehr als 100 Bühnen in ganz Europa nachgespielt wurde: Ernst Kreneks „Jonny spielt auf” nach einem selbstverfaßten Text. — Der Komponist war durch diesen unvorhersehbaren Erfolg zwar über Nacht zum reichen Mann geworden, aber die Medaille hatte auch ihre Kehrseite. Krenek schreibt darüber in einer in den USA verfaßten autobiographischen Skizze, er habe damals den Eindruck gehabt,

daß durch den „Jonny” alles, was er bis dahin erreicht hatte, zunichte gemacht worden sei. Beobachter, die seinen früheren gewagten Experimenten sympathisch gegenüberstanden, waren enttäuscht, da es schien, als hätte er aus der Musik ein Geschäft gemacht. Die anderen, denen der „Jonny” gefiel, erwarteten sich weitere sensationelle Schlager im gleichen Stil — und so fand er sich bald zwischen allen Stühlen sitzend.

Das Salzburger Landestheater hat sich an eine Wiederaufnahme dieser Sensationsoper der zwanziger Jahre gewagt: in sehr dankenswerter Weise und mit keineswegs untauglichen Mitteln. Trotzdem kann man den Aufruhr, den diese Oper seinerzeit verursacht hat, kaum mehr verstehen oder nachempfinden. Die Handlung ist banal und kolportagehaft, obgleich der inteligente Autor ihr-(damals schon oc • erst heute?) eine tiefere Bedeutung zu insinuieren trachtet. Es geht um den Komponisten Max („eine stark autobiographische Figur”), dem seine Anita, ihres Zeichens Sängerin, davonläuft, um in den Armen des erfolgreichen Violinvirtuosen Daniello ein einfacheres Glück zu finden — doch kehrt sie bald wieder zu Maxen, dem Introvertierten, zurück. Dessen eigentlicher, ideeller Gegenspieler ist aber Jonny, ein Jazzgeiger, der die vitale Lebensform inkarniert. Jonny und sein Amerika waren für Krenek Symbole für die Fülle des Lebens, optimistische Lebensbejahung, Hingegefoemheit an das Glück des Augenblicks — ein Wunschtraum. Jonny stiehlt Daniellos Geige. Aber weshalb muß dieser unter den Rädern eines anfahrenden Zuges enden? Vielleicht, um den Letzteren auf die Bühne zu bringen, samt Telephon und Lautsprecher, Automobil und — Jazzband.

Ja, man hört ab und zu eine Jazzband zaghaft zirpen, aber keineswegs Jazz, sondern gängige Unterhaltungsmusik der zwanziger Jahre. Und das mag eine der Hauptsensationen in der damals neuen Oper gewesen sein. Sieht und hört man sie heute, so wird man sich dessen bewußt, um wieviel die Zeiten schlimmer und härter geworden sind. Heute bedürfte es, um eine ähnliche Sensation zu erzeugen, stärkerer Mittel…

Das Salzburger Landestheater hat seine Bühne exklusiv in schwarzweiß von Peter Bissegger ausstatten und seine Akteure von Marie Christin Carlowitz im Geschmack der Golden Twenties anziehen lassen. Unter den Hauptakteuren (Monti Sauermann, Maria Antonia Harvey, Kurt Kessler, Ada Zapperi u. a.) ragt der aus Georgia gebürtige Allan Evans figürlich, darstellerisch und stimmlich heraus: ein Jonny, wie man ihn sich besser nicht wünschen kann. Walter Pohl hat dieses Dokument einer „tollen Zeit” recht hübsch inszeniert, und Paul Angerer hat die stark gekürzte Partitur mit lockerer Hand dirigiert. Deutlicher als bei der vor kurzem erschienenen AMADEO- Schaliplatte entstand hier der Eindruck des Durchsichtigen, Ausgesparten. Ob es nur an der Interpretation lag? Und was sich wohl der Komponist gedacht haben mag, der wohlgelaunt der Aufführung beiwohnte?

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