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„Pallas Athene weint in Hamburg

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Von, den Opernhäusern, die während des großen Krieges in Trümmer sanken, sind nicht viele auferstanden. Aber es scheint, daß wir jetzt, zehn Jahre darnach, in die Epoche der Wiedereröffnung treten. Fast gleichzeitig laden Ost-Berlin, Hamburg und Wien zu Festwochen in den neuen Häusern. Unter den Linden und am Opernring fühlte man sich an übermächtige Traditionen gebunden; die Neukonstruktion durfte in Geist und Form nicht voi“ ihr abweichen. — In Hamburg wurde ein Haus gebaut, das auf Kopie früherer Stile verzichtet, dessen größer, lichter Zuschauerraum von neuer Baugesinnung zeugt. Man mag Sich über die Farben, über den. Zusammenklang von kirschroten Polstern, mattblauem Vorhang, gebeiztem Holz und pergament-farbenen Rängen streiten (ich finde ihn sehr wohltuend), mag die strahlenförmig zur Bühne strebenden Schubladenlogen bizarr finden: die Raumwirkung ist so angenehm wie die Akustik makellos. Es ist ein elegantes, bewußt prunkloses, in seiner Harmonie aber heiter und festlich stimmendes Theater. Genau der passende Rahmen für den Typus von Opernspiel, den der Intendant Dr. Günther Renn e r t pflegt.

Die Festwoche, mit der Hamburgs neue Oper der Oeffentlichkeit überantwortet wird, hat programmatischen Sinn. Von sechs Werken drei zeitgenössische: Kreneks „Pallas Athene weint“ als Uraufführung, Egks „Irische Legende“ als deutsche Erstaufführung, Orffs „Catulli Carmina“ und „Trionfo di Afrodite“. Dazu zwei Verdi-Abende. Kein Wagner. Als Festpremiere Mozarts „Zauberflöte“. Das ist ein Bekenntnis zum lebenden Theater und zu den Idealen einer sachlicheren Romantik. Daß die „Zauberflöte“ nicht alle hohen Erwartungen erfüllte, hatte grundsätzliche Ursachen. In Rennerts Ensemble-Oper haben gastierende Stars wenig Spielraum; man verzichtet lieber auf erstklassige Besetzung, als daß man Hilfe von außen holt. So war der Eröff-nungsabend zwar musikalisch sauber, in vielen kleinen RoTIen auch gut gesungen, im ganzen aber mehr ein Sieg des Regie-Eindrucks als der Stimmen.

Um so bedeutender Wirkte die K r e n e k -P r e-miere. Pallas Athene weint über die Niederlage Athens, des Freiheitsgedankens, der Idee unabhängigen Denkens, die mit Sokrates den Freitod stirbt. Krenek, auch hier sein eigener Librettist, hat eine Tragödie um den Begriff der Demokratie geschrieben. Schillernder Mittelpunkt des Konfliktes zwischen Athen und Sparta ist Alkibiades: sein Rivale und siegreicher Feind Meietos. Beide kommen aus

Sokrates' Schule, die sie so fragwürdig verkörpern wie der radikale Pazifist Meton, der zum Verräter der eigenen Sache wird, die abstoßendste Figur des Werks. Alkibiades, von der Volkskunst getragen, steht im Verdacht, die Hermenbilder gestürzt und die Priesterin Althaea im Heiligtum geschändet zu haben, die ihm in Haßliebe verfällt. Er läuft nach Sparta über, wo er dem König Agis seine Dienste anbietet, gleichzeitig aber die Frau entführt. In der Gcbirgshöhle bei Meton treffen sich alle wieder: Sokrates, der die Saat seiner Lehre unheilvoll aufgehen sieht, Meietos. der Meton tötet, weil der das Geheimnis der Bilderschändung verrät. Alkibiades, dem Althaeas Haß zum tödlichen Verhängnis wird, die Spartanerkönigin Timaea, die seinem Leichenzug ins Verderben folgt. Das letzte Bild zeigt den Triumph der Spartaner über die Athener und endet mit dem ungeheuren Klagelaut des Frauenchors, aus dem zu Beginn sich das Weinen der Göttin Pallas Athene erhoben hatte.

Krenek hat den gedankenschweren, zwischen oratorisch betrachtenden und wild dramatischen Szenen vermittelnden Stoff im Stil eines sehr persönlichen seelischen Naturalismus durchkomponiert. Seine Musik, aus zwölftönigen Reihen abgeleitet, deren dominierende gleich zu Beginn einstimmig und unbegleitet von Pallas gesungen wird, verzichtet auf Tonart und funktionelle Harmonik. Sie spricht in überzeugender Weise die Sprache eines beruhigten Expressionismus, die sich an Schönberg und Alban Berg orientiert, dann aber ihren eigenen Duktus gefunden hat. Grundsätzliches Ueberwiegen der sogenannten Dissonanz, Verwendung von fünf- und sechstönigen Akkorden, herbe, oft auch streng imitatorische Polyphonie sind die technischen Merkmale. Der Gesang ist überwiegend deklamatorisch behandelt, meist in solistischer Rede — Das alles ist ganz vom inneren Ohr her gehört, in der Ablehnung billigen Wohlklangs für den Hörer nicht eben leicht zu fassen, aber in seiner Logik und Ausdruckskraft unabweisbar. In der Charakterisierung der Hauptfiguren, namentlich des Alkibiades. bedient sich Krenek auch simplerer Mittel. Seine Rhythmik greift oft auf Marsch und eingängige, ostinat wiederkehrende Motive zurück Sein Orchester ist von einer kammermusikalischen Firb'ckeit. die Xvlophon, Celesta. Klavier. Streicher- und Hohlbläsersolo meisterlich anwendet In der Dramatik von 2. und 3. Akt siegt Kreneks Musikertum über manche Schrecken etwa trockener Rezitativik.

In der Aufführung (unter Leopold Ludwigs sensitiver Lotung) zeigte sich Rennertl Regiekunst von ihrer stärksten Seite. Sie hebt mit Lichtstrahlen die Pallas aus dem Dunkel des Beginns, stellt den spartanischen Hof vor eine blutrote Mauer, deren Gazewand plötzlich transparent wird und die Gestalten der Krieger mit den Schlangenschilden sichtbar macht, läßt Alfred Siercke in der athenischen Mauer des Schlusses eines seiner besten Bühnenbilder auf die neue Szene zaubern. — Im Publikum, das eine Festaufführung.von so aggressiver Aufrichtigkeit der Mittel nicht erwartet haben mochte, war manche Reserve spürbar. Dennoch endete der Abend mit einem starken Erfolg für Krenek und die Mitwirkenden, die rund zwanzigmal vor den Vorhang mußten.

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