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Redlich auf Wanderschaft

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Das letzte Kennzeichen künstlerischen Wertes ist in einem Element von Vitalität ver- körpert", meinte Ernst Krenek einmal im Gespräch. Wenn der Komponist „die göttliche Gnade habe, macht es nichts aus, ob er sich an unglücklichen Liebeserfahrun- gen, an Spaziergängen durch die Wälder oder am Studium mittelal- terlicher Musik inspiriert".

Krenek-Kritiker haben diese „Vielschichtigkeit" oft abgeurteilt; sie verstanden seinen „Zickzack- kurs" der Stile nicht, sie kreideten ihm seinen „Spürsinn für Aktuali- tät" und seine permanente „Zeit-

genossenschaft" ebenso an wie die Freiheit, in künstlerischen Fragen „konvertieren" zu können, wenn ihm das notwendig schien.

„Musik sollte sich den wohlver- standenen Bedürfnissen der Ge- meinschaft anpassen, für die sie ge- schrieben ist: Sie sollte nützlich, unterhaltend und praktisch sein", lautete der Satz, mit dem Krenek viele Bewunderer schockierte.

Nun feiert Ernst Krenek, der in Wien geborene Sohn eines österrei- chisch-böhmischen Offiziers, am 23. August seinen neunzigsten Geburtstag. Aus der Reihe der Ehrungen seien nur die konzertan- te Aufführung seiner Oper „Or- pheus und Eurydike" bei den Salz- burger Festspielen und ein Ehren- platz im Rahmen des spektakulä- ren Festivals „Wien modern" er- wähnt.

Krenek war der Paradeschüler Franz Schrekers, dann erfolgver- wöhnter, vielgespielter Komponist. Das Publikum bewunderte seinen Spürsinn für das Aktuelle, Freunde bewunderten, wie er die Gegenwart auf die Opernbühne holte und ein lebendiges Spannungsverhältnis

zwischen dem Musiktheater und einem politisch engagierten Publi- kum der Zwischenkriegszeit her- stellte. Die NS-Zeit hat ihm das nicht verziehen. 1937 emigrierte er

zeitgerecht.

Welche Werke fallen einem bei Nennung des Namens Krenek ein?- Natürlich „Johnny spielt auf", sei- ne 1927 in Leipzig uraufgeführte

Jazzoper: ein Welterfolg, der Kre- nek in NS-Kreisen zur persona non grata machte. Dann denkt man ah „Karl V.", jenes monumentale Auftragswerk der Wiener Staats- oper (1933), dessen Urauffüh- rung in Wien zuerst durch po- litische Intrigen verhindert und dessen Erstaufführung dann durch das Desinteresse der Operndirektoren an die fünzig Jahre verschleppt wurde. Beide Werke sind Do- kumente seines „Spürsinns für Aktualität".

Krenek sorgte für Überra- schungen. Der blitzgescheite Verwandlungskünstler, der sich gerade von der schwülen Klangsinnlichkeit und Fin- de-siecle-Mentalität Schre- kers gelöst hatte, stürzt sich mit Streichquartett und er- sten Symphonien „mit rasan- ter Aktivität" in den Expres- sionismus. Er huldigt der „li- nearen Atonalität".

Ein Aufenthalt in Frank- reich und der Schweiz führt zur Abkehr vom Sturm-und- Drang. „Johnny" entsteht, seine Liebeserklärung an den Sweet Musicman. Unerhört das Sujet: Ein Schwarzer singt und tanzt auf der sakrosank- ten Opernbühne zu Jazzmu- sik. Jazzrhythmen knallen. Puccinis schmelzende Kanti- lenen sind Trumpf. Krenek schlägt Töne an, die das Eu- ropa der „roaring twenties" in Atem halten. „Nützliche, unterhaltende, praktische Musik" nennt er das. Sechs Jahre später „kon-

vertiert" er erneut. Das Werk der Wiener Schule, also von Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton von Webern, zieht ihn magisch an. Er wird „Zwölftöner" und schafft sich in literarischen und theoreti- schen Studien Klarheit. „Karl V." steht als ideales Monument am Anfang dieser „musikalischen Neu- zeit".

Egal, wo man im Zickzackkurs seiner Erfolgslinie ansetzt - man erkennt den „Erfinder", der neue Ausdrucksformen prüft. Wie etwa in der szenischen Kantate „Zwing- burg" von 1922, nach Franz Werfel, wo er eine „moderne Auseinander- setzung mit der sozialen Frage" angeht. Jahre vor Strawinskis „Ödipus Rex" prüft er die Möglich- keiten der Oratorienoper; 1923 folgt sein „Sprung über den Schatten", eine grelle politische Satire, 1926 „Orpheus", nach einem aufsehener- regenden Text Oskar Kokoschkas. Antiker Mythos - aufgelöst in sub- tile psychologische Analyse. 1930 holt er im „Leben des Orest" den mythischen Stoff auf die Straße. Heroen in der Schlacht mit elemen- taren Gewalten.

Kreneks amerikanische Jahre bringen die Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik, das Mei- sterwerk „Sistina", einen neuen Weg. Krenek verbindet lyrisch- expressive Ausdruckskunst und geistvolles Zwölftonkalkül zum „Altersstil". Lyrik wird der Leitfa- den, der die „entgegengesetzten Entwicklungsstufen in seinem Werk vereinheitlicht und ihrer masken- haften Rätselhaftigkeit entkleidet".

Der unbequeme Kopf Krenek, der stets ein polemischer Verfechter der Autonomie des Schöpferischen und ein unbarmherziger Neinsager zu Mittelmaß und Routine des Musik- betriebs war, zwischen Redlichkeit der Sprache, Glaubwürdigkeit des Denkens und Wahrheit des Seins: Die Wanderschaft eines Meisters als geradliniger Weg zu sich selbst.

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