Ein Spiegel des 20. Jahrhunderts

Werbung
Werbung
Werbung

Gladys Nordenstrom Krenek, die Witwe Ernst Kreneks, über den Krenek-Schwerpunkt bei den Bregenzer Festspielen, das Kremser Krenek-Forum und was noch zu tun ist.

Im Jahr 1941, beim Erkunden von Informationen über die Musikabteilung der Hamline University in St. Paul, Minnesota, stieß die junge Komponistin Gladys Nordenstrom erstmals auf den Namen Ernst Krenek (1900-1991). Mehr als hundert Mal, erinnert sie sich, hörte sie sich das Lied "Die Nachtigall" nach einem Text von Karl Kraus an, "ein unbeschreiblich schönes Werk, besonders in der Art, wie es die Musik reflektiert". 1950 heiratete sie Ernst Krenek, zu dessen wichtigster Mitarbeiterin sie wurde. Seit seinem Tod wirbt sie, weltweit und erfolgreich, für sein Werk. Als kommende Großprojekte nennt sie eine Krenek-Gesamtausgabe, was schon deshalb schwierig ist, weil die zahlreichen Werke Kreneks in verschiedenen Verlagen erschienen sind, und eine wissenschaftlich kommentierte Edition seiner gesamten Schriften. Dass dabei die Aufführungen nicht zu kurz kommen, zeigt dieser Sommer, in dem die Bregenzer Festspiele zu einem mehrteiligen Krenek-Schwerpunkt laden. Mit Aufführungen der Oper "Karl V." (Premiere: 24. Juli im Festspielhaus), der im Herbst von der Volksoper übernommenen Satire "Kehraus um Stephan" (Premiere: 30. Juli im Kornmarktheater) sowie der Aufführung der beiden Violinkonzerte durch Hanna Weinmeister (10. August) und Ernst Kovacic (4. August).

Die Furche: Frau Krenek, die Bregenzer Festspiele stehen diesen Sommer ganz im Zeichen von Ernst Krenek. Wie ist es dazu gekommen?

Gladys N. Krenek: Die Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung wurde 2004 in Krems gegründet. Im selben Jahr schickte die Generalsekretärin der Stiftung, Petra Preinfalk, die neue Krenek-CD "Die drei Einakter" an David Pountney. Schon im Sommer 2005 führte sie mit ihm in Bregenz Gespräche über einen Krenek-Schwerpunkt. "Kehraus um St. Stephan" stand gleich im Vordergrund, Petra Preinfalk liebt diese "Satire mit Musik", sie passt ideal ins Kornmarkttheater und bildet einen starken Kontrast zu einer großen, seriösen Krenek-Oper im Festspielhaus. Pountney erwähnt im Krenek-Newsletter 2007, dass dieser Krenek-Schwerpunkt nur durch diese drei Jahre dauernde, enge Zusammenarbeit mit dem Krenek-Institut möglich wurde.

Die Furche: Im Festspielhaus kommt eine Neuproduktion von "Karl V." heraus, wer hat diese Werkauswahl getroffen?

Krenek: Ernst Krenek schrieb drei große Opern: "Leben des Orest", "Karl V.", "Pallas Athene weint" und eine Satire mit Musik, "Kehraus um St. Stephan", die zum Thema Wechselspiel zwischen Macht und Musik passen. In diesen Opern zeigt er die Folgen politischer Macht von sehr unterschiedlichen Standpunkten. Es gibt kaum eine Möglichkeit, besser die ungeheure Vielfalt von Kreneks Imaginationen zu sehen als in "Karl V." und "Kehraus um St. Stephan". Beide Stücke sind fast gleichzeitig entstanden und könnten rein äußerlich unterschiedlicher nicht sein: "Kehraus" eine operettenhafte Revue mit satirischem Biss, Elementen von Tango, Foxtrott und Schrammelmusik, "Karl V." eine hochernste Auseinandersetzung mit Glaube und Wissen, Freiheit und Schicksal, geschrieben in einer sehr klangsinnlichen Zwölftontechnik. Beide Opern verbindet wie ein unsichtbares Band die hochaktuelle Frage nach Macht und Verantwortung, beides sind Lehrstücke über Freiheit und Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft.

Die Furche: Der Bregenzer Intendant David Pountney hat Krenek mit Picasso und Strawinsky verglichen. Wie diese habe er dem 20. Jahrhundert den Spiegel hingehalten. Umso bedauerlicher, dass nur wenige bereit waren, ihm zuzuhören. Und heute?

Krenek: Im Vergleich zu Picasso und Strawinsky geht Krenek noch weiter als diese beiden anderen "Spiegel" ihres Jahrhunderts. Er hat in seiner Musik die eigene Stellung als Künstler, der das Jahrhundert reflektiert, dargestellt. Dabei nimmt er nicht nur die verschiedenen Musikstile des Jahrhunderts in sein Schaffen auf, sondern denkt auch darüber nach, warum wir die Stile wechseln, warum wir als Menschen nie einen geradlinigen Lebensweg haben - so wie "Karl V.", der in der Oper sein ganzes Leben an sich vorüber ziehen lässt und es in seiner Vielfalt, seinen Zufällen und Bestimmungen zu begreifen versucht.

Die Furche: Als einziger Komponist des vorigen Jahrhunderts hat Krenek in allen Stilen seiner Zeit komponiert; das zeigt sich ja auch in seinen Violinkonzerten.

Krenek: Die beiden Violinkonzerte sind gute Beispiele für die virtuosen "Sprachwechsel" von Krenek. Er hat auch in vielen anderen Gattungen - Liedern, Orchesterwerken, Streichquartetten - eine faszinierende Auseinandersetzung mit den Stilen des 20. Jahrhunderts geliefert. Diese Werkreihen hören sich jeweils an wie eine umfassende Musikgeschichte des ganzen Jahrhunderts - und doch sind sie, jede für sich, durch Kreneks unverwechselbare Handschrift geprägt.

Die Furche: Seit Ende Juni gibt es in Krems ein Ernst-Krenek-Forum. Was soll hier in Zukunft alles geschehen?

Krenek: Das Krenek-Forum ist eine Ergänzung des Krenek-Instituts. Zum Teil hat es Museumscharakter, man kann sich über Ernst Krenek informieren, dazu wird es mehrere Aktivitäten geben. Matthias Henke ist Kurator des Krenek-Forums. Lassen Sie mich seine Gedanken, die ich ausgezeichnet finde, kurz zitieren: "Die künstlerischen Umbrüche und politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts lassen sich am Werk, aber auch am Leben Ernst Kreneks in beeindruckender Deutlichkeit ablesen. Wie viele andere seiner Zeitgenossen wurde er zum Spielball der geschichtlichen Mächte. Der Gefahr unterzugehen trotzte er aber immer wieder durch seine enorme Vitalität und Schöpferkraft, durch seine ungebrochene Neugier auf Unbekanntes, die er schon als Kind besaß. Vor allem diese positive Ausstrahlung, dieses Leuchten Kreneks möchte das Forum hervorheben, nicht zuletzt, um Wege der Zukunftsgestaltung aufzuzeigen. Dass Krenek nicht Historie ist, sondern zu unserer Gegenwart gehört, zeigen die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Ernst-Krenek-Forums. Denn der zentrale Ausstellungsraum kann ohne viel Aufwand so verändert werden, dass er für Symposien oder Interpretationsworkshops genutzt werden kann."

Die Furche: Krenek war ein hervorragender, im Stil an Karl Kraus geschulter Literat. In den letzten Jahren hat die Kremser Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung im Augus Verlag immer wieder Texte von Ernst Krenek veröffentlicht. Wird diese Initiative weitergehen, ist eine kritische Ausgabe seiner Briefe geplant?

Krenek: Die Veröffentlichung der Texte wird weitergehen. Im Oktober findet am Musikwisssenschaftlichen Institut der Universität Hamburg unter Leitung von Claudia Zenck ein wichtiger Kongress statt: "Igor Strawinskys & Ernst Kreneks Spätwerke". Beide Komponisten lebten im Exil in Kalifornien, sie kannten einander gut; ihre späten Werke werden selten aufgeführt. Außer den Briefen gibt es viele literarische Werke zu veröffentlichen, ihre Publikation sollte mit der Arbeit an einer Gesamtausgabe seiner Musik kombiniert werden. Das könnte noch eine Weile dauern, dafür braucht das Institut mehr Personal und finanzielle Unterstützung.

Die Furche: Wie sieht es mit Aufnahmen aus? Zuletzt hat das Petersen-Quartett mit einer Quartettgesamteinspielung begonnen. Werden die Bregenzer Aufführungen mitgeschnitten?

Krenek: Mit den Einspielungen geht es schneller vorwärts. Phoenix Edition wird DVDs von "Karl V." und "Kehraus um St. Stephan" herausbringen, und hoffentlich kommen auch die übrigen vier Streichquartette mit dem Petersen-Quartett auf CD. Im August erscheinen zwei Werke: die amüsante Oper "What Price Confidence" und eine Klavierplatte mit Mikhail Korzhev. Eine dritte, mit allen Streichorchesterwerken unter Ernst Kovacic, folgt später; alle drei habe ich gesponsert. Von anderen neuen CDs erfahre ich oft erst im Nachhinein.

Die Furche: Wie sehen Sie den Stellenwert ihres Mannes heute? In den letzten Jahren ist nicht zuletzt dank Ihres Einsatzes viel für seine internationale Durchsetzung gelungen - sind Sie zufrieden?

Krenek: Im Allgemeinen ja, aber es muss noch mehr getan werden. Das Motto von Karl V., "Plus ultra" ("Immer weiter"), gilt auch für Ernst Krenek. Die Bregenzer Festspiele werden ein "Spotlight" auf seine Opern setzen. Kreneks "Leben des Orest" und "Pallas Athene weint" sind aktueller denn je. Sein surrealistisches Bühnenwerk "Chrysomallos" (Der goldene Bock) könnte man mit Film fantastisch realisieren: Chrysomallos fliegt durch Raum und Zeit und landet 4000 Jahre später. Wir müssen uns bei Johannes Kernmayer (Capriccio, jetzt Phoenix Edition) bedanken, weil er sich so um Kreneks Opern kümmert, und bei allen, die mit der Krenek Stiftung in Krems verbunden sind, weil sie seine Werke auf mannigfaltigste Weise verbreiten. Ich freue mich, dass James Conlon im Dezember einen Krenek-Einakter in Juilliard dirigieren wird und später eine der großen Opern in Los Angeles. "So, things are looking up."

Das Gespräch führte Walter Dobner

Weitere Informationen: www.krenek.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung