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Für Scheidung mit faulem Obst

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Italien ist eines der ganz wenigen Länder der Welt, wo es noch immer nicht möglich ist, sich durch eine weltliche Gerichtsbarkeit scheiden zu lassen. Das Problem befaßt keineswegs die einzelnen Gatten, die in Italien schon lange voneinander getrennt, oft im Konkubinat mit einem anderen Partner leben und sich auf diese Weise eigentlich nach dem Gesetz strafbar machen. In viel stärkerem Maße beschäftigt es derzeit das italienische Parlament, dem es noch knapp vor den Sommerferien heiße Wochen bescherte. Ob allerdings die Frage in absehbarer Zeit angesichts der Regierungskrise gelöst werden kann, ist mehr als fraglich. Im Falle von Neuwahlen wird „Divorzio“ aber Wahlkampfthema sein.

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Italien ist eines der ganz wenigen Länder der Welt, wo es noch immer nicht möglich ist, sich durch eine weltliche Gerichtsbarkeit scheiden zu lassen. Das Problem befaßt keineswegs die einzelnen Gatten, die in Italien schon lange voneinander getrennt, oft im Konkubinat mit einem anderen Partner leben und sich auf diese Weise eigentlich nach dem Gesetz strafbar machen. In viel stärkerem Maße beschäftigt es derzeit das italienische Parlament, dem es noch knapp vor den Sommerferien heiße Wochen bescherte. Ob allerdings die Frage in absehbarer Zeit angesichts der Regierungskrise gelöst werden kann, ist mehr als fraglich. Im Falle von Neuwahlen wird „Divorzio“ aber Wahlkampfthema sein.

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Bisher konnte man nämlich die Frage der Scheidung nicht ins Parlament bringen, da die Democristiani und die Faschisten der Meinung sind, das Problem der Scheidung sei gegen die Grundprinzipien des Staates. Die Kommission, zusammengesetzt aus Juristen des Landes, die eingesetzt wurde, um über diese Frage ein Fachgutachten abzugeben, hat sich allerdings einstimmig gegen dieses ablehnende Urteil und gegen die Koalition Democri-stiani-Faschisten wider die „Scheidung“ ausgesprochen.

Nunmehr wurde nach einer längeren Auseinandersetzung, die vor kurzem stattfand, das Problem der Schei-

dung ins Parlament gebracht. Bei einer Pressekonferenz erklärte der sozialistische Abgeordnete Fortuna (er ist Wortführer in Sachen Scheidung), daß die Diskussion im Parlament, die jetzt stattfinden soll, ein wichtiger und entscheidender Schritt des italienischen Staates zu einer modernen Lösung in dieser Frage darstelle. So wird also das italienische Abgeordnetenhaus noch vor den Sommerferien mit der Diskussion über die Scheidung beginnen.

Volksabstimmung?

Auf die Frage von Journalisten allerdings, ob auch im Parlament mit einer Stimmenmehrheit für die

Scheidung zu rechnen sei, meinte der sonst so optimistische Abgeordnete, er rechne zwar am Ende doch mit einem Sieg in dieser Frage, allerdings sei festzustellen, daß auch verschiedene Abgeordnete aus anderen Parteien als aus den Reihen der Democristiani und der Faschisten bei einer endgültigen Abstimmung sich eventuell weiter gegen die Scheidung in Italien aussprechen könnten.

Trotzdem, schloß Fortuna seine Ansprache, hoffe er, bis zum Frühling 1970 die Scheidung auch in Italien durchgesetzt zu haben. Schärfster Gegner einer Einführung der Scheidung in Italien ist noch immer der Vatikan, dessen Einfluß auf die italienische Politik nicht zu unterschätzen ist. Dabei spielen allerdings — und das wird von den Gegnern des Vatikans immer wieder übersehen, weitgehend auch soziale Momente eine große Rolle. Man fürchtet nämlich, daß durch die Scheidung in ärmeren Kreisen der Staat die Unterhaltspflicht für viele Familien übernehmen müßte, die ihren Ernährer plötzlich verlieren würden. Auf seiten der Democristiani ist man zwar derzeit bemüht, in möglichst rosiger und sachlicher Atmosphäre die Frage der Scheidung Zu diskutieren, allerdings sind schon

Stimmen laut, die ein Ja zur Scheidung beim italienischen Parlament für anfechtbar erklären. So wollen einige Democristiani unter Umständen eine Volksabstimmung durchführen und hoffen auf die süditalienischen konservativen Kreise.

Leben im Konkubinat

Die Democristiani argumentieren noch immer damit, daß die Einführung der Scheidung nicht nur soziale Konsequenzen hätte, sondern daß es zu einem religiösen Zwist innerhalb der italienischen Bevölkerung kommen könnte. Uber die Volksabstimmung befragt, meint allerdings der sozialistische Scheidungsbefürworter Fortuna, eine solche Abstimmung würde ebenfalls eine Mehrheit für die Scheidung erbringen. Immer wieder wurde in der letzten Zeit in der italienischen Presse und in der italienischen Öffentlichkeit zur Frage Scheidung Stellung genommen. Allerdings verweisen Kenner der italienischen Situation darauf, daß jetzt eben getrennte Eheleute oft in einem weder vom Staat noch von der Kirche sanktionierten Konkubinat leben. Schon jetzt befürwortet der eine oder andere Demo-cristiani-Kandidat eine Scheidung mit Einschränkung für jene Eheleute, die seit Jahren separiert leben. In Italien jedenfalls blicken viele scheidungsfaungrige Ehemänner mit scheuem Blick nach den Nachbarländern, wo ein solcher Schritt durchaus möglich ist. Die „Berufsdemonstranten“ haben jedenfalls außer bei Studentenunmhen und Arbeiterstreiks einen neuen Revolutionsgrund. Zehntausende fanden sich nämlich kürzlich auf der Piazza Navona in Rom ein, um für die Scheidung mit Spruchbändern und faulem Obst zu demonstrieren.

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