"Deradikalisierung nicht miterledigen"

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Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass Österreich ein bundesweites Paket an Maßnahmen zur Deradikalisierung bräuchte, meint der Grünen-Sprecher für Justiz, Demokratie und Verfassung, Albert Steinhauser.

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Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass Österreich ein bundesweites Paket an Maßnahmen zur Deradikalisierung bräuchte, meint der Grünen-Sprecher für Justiz, Demokratie und Verfassung, Albert Steinhauser.

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Für eine effektive Radikalisierungs-Prävention wäre eine "Task Force" nötig, die islamistische Tendenzen beobachtet und Einzelmaßnahmen koordiniert. So heißt es im kürzlich erschienenen Integrationsbericht 2016. Ein solches bundesweites Deradikalisierungs-Paket fehlt auch dem Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser.

DIE FURCHE: Schon seit 2014 laufen in Österreich unterschiedliche Deradikalisierungsprogramme, das von Ihnen geforderte bundesweite Ausstiegs-bzw. Deradikalisierungsprogramm gibt es aber nicht.

Albert Steinhauser: Ja, wir haben leider schon mindestens zwei Jahre verstreichen lassen, in denen wir so einen Masterplan hätten schaffen müssen. Es gibt unterschiedlichste Initiativen, die aber nicht koordiniert sind. Es fehlt an funktionierenden Strukturen, an die man sich vertraulich wenden kann, um die passende Vorgangsweise zu wählen und dem Gewissenskonflikt zu entkommen, möglicherweise jemanden zu Unrecht ins Visier zu bringen, nur weil er auf falsche Weise protestiert. Selbst in der Schule fehlt mir das: Viele Lehrerinnen und Lehrer schildern mir, dass sie nicht wissen, wie sie Tendenzen bewerten oder damit umgehen sollen. Sie wissen nicht, ob sie jemanden "vernadern", wenn er Rauschebart oder Glatze trägt. Ist es eine gefährliche Radikalisierung oder nicht? Natürlich legen Springerstiefel, Glatze oder knöchellange Hosen eine Gefahr nahe, aber es geht um die Ebene drüber: wenn eine Radikalisierung entstehen könnte. In dieser Situation fühlen sich Pädagogen allein gelassen.

DIE FURCHE: Damit das Betreuern in Flüchtlingseinrichtungen nicht passiert, laufen in Oberösterreich, Wien und Tirol derzeit Projekte, um einen regelmäßigen Kontakt zwischen der Polizei und Asylquartieren aufzubauen. Steinhauser: Dieser Generalverdacht gegenüber Flüchtlingen ist ungerecht, weil ja viele vor islamistischem Terror fliehen und in Wirklichkeit Opfer und alles andere als Sympathisanten sind. Im Prinzip kann man in Flüchtlingsunterkünften Ähnliches sagen wie in der Schule: Wenn eine Radikalisierung wahrgenommen wird, dann brauchen die Betreuer eine Struktur, an die sie sich vertrauensvoll wenden können. Das Wort "vertrauensvoll" ist hier sehr wichtig. Die Ansprechpartner sollten dabei nicht die Polizei sein, sondern die Professionisten. Polizei und Militär sind in den Herkunftsländern außerdem oft die Personen, die Verheerendes angerichtet und traumatisierende Erlebnisse hervorgerufen haben. Hier die Polizei als ersten und unmittelbaren Ansprechpartner in der Präventionsarbeit einzusetzen, sollte nicht bevorzugt werden. Außerdem leidet die Polizei ohnehin unter Ressourcenknappheit und hat schon zu viele Aufgaben.

DIE FURCHE: Welche Bereiche sind neben Flüchtlingseinrichtungen und Schulen für die Deradikalisierung entscheidend?

Steinhauser: Die Maßnahmen müssen sich auf drei Feldern abspielen: erstens Präventionsarbeit. Hier sind eben die Schulen wesentlich: Sie sind ein Ort, wo man Jugendliche noch im Auge hat, wo Radikalisierung sichtbar wird und man früh reagieren kann. Deshalb liegt dort die Hauptchance der Präventionsarbeit. Sind die Jugendlichen aus der Schule draußen, kommt man schwerer an sie ran. Das zweite Feld sind funktionierende Hotlines und das dritte sind Gefängnisse, weil immer mehr Syrien-Rückkehrer in österreichischen Haftanstalten sitzen. Studien haben gezeigt, dass dort die meisten Terrororganisationen restrukturiert werden. Dort ist also der Hotspot Nummer eins, wo Deradikalisierungs-Maßnahmen greifen müssten.

DIE FURCHE: Seit einiger Zeit werden Justizwachebeamte über die aktuellen Entwicklungen in puncto Jihadismus informiert. Seit Februar führt der Verein "Derad" Interventionsgespräche mit inhaftierten Islamisten und potenziell Radikalisierten durch. Es wird also schon einiges getan.

Steinhauser: Ja, seit meinem ersten Hinweis auf eine Radikalisierung in Gefängnissen ist schon einiges passiert. Erste Ideen und Konzepte sind schrittweise entwickelt worden - ich möchte die Bemühungen im Strafvollzug nicht kleinreden. Allerdings wurde im 300 Millionen Euro teuren Anti-Terrorpaket auf die Gefängnisse vergessen. Das heißt, die gesamte Deradikalisierungs-Arbeit ist von Ressourcenknappheit betroffen. Das wird von Justizminister Brandstetter jedoch in Abrede gestellt -was ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Mir fehlen einfach die fertigen Strukturen, die handlungsfähig machen und die über das hinausgehen, was der Strafvollzug ohnehin tun muss. Es fehlt eine professionelle, österreichweit agierende Gruppe im Strafvollzug, die bei jedem Problem der Radikalisierung Ansprechpartner ist. Noch wird das Thema jenen Menschen - Sozialarbeitern, Gefängnisseelsorgern etc. -"umgehängt", die ohnehin im System arbeiten. Aber es braucht eine eigene funktionierende Struktur. Deradikalisierung kann man nicht nebenbei miterledigen. Das ist ein Problem, das sich durch alle Maßnahmen durchzieht.

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