#Ich muss mich halt einschränken#

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Zuerst waren es nur Stofffleckerln, dann wurden es Kleidungsstücke, Spiel- oder Schulsachen und Wolle: Seit zehn Jahren schickt die Pensionistin Brigitte Witz # auf eigene Kosten # prall gefüllte Pakete nach Brasilien. Aus dem Leben einer Umtriebigen.

Mit dem Alter kommen die Wehwehchen: Abnützungserscheinungen; Schmerzen im Rücken und in den Handgelenken; und dazu noch eine Zyste im Fuß, die das Tragen von Spezialschuhen nötig macht. Um den Alltag halbwegs durchzustehen, braucht Brigitte Witz regelmäßige Lymphdrainagen und Massagen. Eine teure Angelegenheit für eine Pensionistin, die mit 900 Euro monatlich über die Runden kommen muss. Schließlich gibt es da noch etwas, das sich die rührige 77-Jährige trotz ihrer angegriffenen Gesundheit regelmäßig leistet: Sie will anderen Menschen unter die Arme greifen. Sie will Gutes tun.

57 Euro zahlt sie dafür, dass die Post ein Paket randvoll mit Stofffleckerln, Kleidungsstücken oder Kuscheltieren von Wien ins ferne Brasilien transportiert. Mindestens ein #Packerl# schickt sie pro Monat über den Ozean, manchmal sind es sogar drei. #Das alles haben mir die Leute gebracht#, sagt Brigitte Witz lachend und deutet auf den textilen Berg im Schlafzimmer ihrer Wohnung im 18. Wiener Gemeindebezirk. #Und alles nur durch Mundpropaganda.#

Drüben im Wohnzimmer, neben Elefanten, Teddys und einer zugedeckten Nähmaschine, kramt die Pensionistin in einem Kuvert und zieht eine Rechnung hervor. Es war der 22. September 2000, als sie das erste Paket voll mit Stoffresten auf die lange Reise schickte. Zwei Wochen später nahmen die Frauen einer Bastelgruppe am Rande der Großstadt São Luís im Nordosten Brasiliens die Fracht in Empfang, fertigten daraus textile Wunderwerke und verkauften sie auf einem Bazar. Immer mehr Pakete kamen aus Österreich, immer mehr Geld wurde in die Kassa der Frauen gespült. Am Ende konnten sie wesentlich dazu beitragen, dass Wasserleitung und Kanalisation bis in ihre Gegend verlängert wurden. Später kam noch ein # von Freiwilligen betriebener # Kindergarten samt Hort dazu.

Suche nach spirituellen Impulsen

Wie kommt eine Wiener Pensionistin auf die Idee, auf eigene Faust brasilianische Familien zu sponsern? #Das ist eine längere Geschichte#, sagt Brigitte Witz und lächelt. An ihrem Anfang steht ein Mann namens Alberto Marques de Sousa. Der 1967 in São Luís geborene Mann kam als Stipendiat des Kamillianer-Ordens nach Österreich, studierte von 1993 bis 1999 in Linz Theologie und besuchte während dieser Zeit Vorträge im Kamillianerkloster in Lainz. 1996 traf er dort zufällig auf eine rührige Frau, die manchmal als Vertreterin der Wirtschafterin für die Patres kochte.

Es war die damals 63-jährige Pensionistin Brigitte Witz. Als sie den charismatischen, warmherzigen Theologen Alberto kennenlernt, ist sie gerade auf der Suche nach spirituellen Impulsen # und neuen Aufgaben. 19 Jahre lang hat die im niederösterreichischen Pernitz geborene Frau als Kinder- und Säuglingsschwester am Mautner Markhof#schen Kinderspital im dritten Wiener Gemeindebezirk gearbeitet, im Anschluss 15 Jahre als Pflegerin in einem Pensionistenheim in Währing. 1974 starb ihr Mann auf der Heimreise von einem Urlaub an einem Herzinfarkt. Der Wunsch nach Kindern blieb ihr versagt.

#Wenn ich meinen Glauben nicht hätte, würde ich manchmal verzweifeln#, sagt Brigitte Witz heute in ihrem Wohnzimmer. #Ich bin keine weiß Gott wie fromme Person, aber ich glaube eben, und das hilft mir.# Auch die Gespräche mit dem Kamillianer Alberto sollten ihr helfen # und in weiterer Folge auch ihm: Als einmal die Rede auf eine brasilianische Bekannte kam, die gern eine Zeit in Österreich verbringen wollte, bot Brigitte Witz an, sie in ihrer Wohnung aufzunehmen. Ein halbes Jahr lang sollte die junge Frau hierbleiben. 2000 luden ihre Eltern schließlich die freundliche Gastgeberin zu sich nach Südamerika.

Schon bei der ersten Reise hatte Brigitte Witz einige Stofffleckerl mit im Gepäck. Ihre eigene Mutter, eine passionierte Schneiderin, hatte sie in Pernitz massenhaft gelagert. Und tatsächlich stießen die Stoffreste bei der örtlichen Bastelgruppe auf reges Interesse. Noch im selben Jahr trat das erste Paket von Wien aus die Reise an.

Es sind nicht nur die Frauen von São Luís, die Brigitte Witz #beliefert#. Auch nach São Paulo, wo der mittlerweile zum Priester geweihte Alberto als Universitätsseelsorger tätig ist, schickt sie ihre Fracht. Oder nach Brasilia, wo seine Eltern wohnen. Oder #in den Urwald#, wo die Großeltern des Kamillianerpaters zu Hause sind. Warme Kleidung ist dort fehl am Platz. Bis auf einmal, als die Temperaturen bis auf fünf Grad sanken und Brigitte Witz schnell ein Paket mit warmen Sachen zusammenpackte. Aber Spielsachen, sagt die Pensionistin, die gehen immer. Davon hat sie sich 2006 bei ihrer Reise #in den Dschungel# überzeugen können.

Und wie wäre es, einfach Geld zu schicken? #Das fragt mich jeder#, sagt Brigitte Witz in ihrem Wohnzimmer. Die hohen Kosten bei Auslandsüberweisungen so geringer Summen würden aber dagegen sprechen. Und die Vermutung, dass den Menschen mit Bastelware oder Spielsachen eher geholfen ist als mit geringen Geldbeträgen, um die man sich leicht Schnickschnack kauft. Sie selbst will jedenfalls mit den Paketen weitermachen # auch wenn es finanziell immer knapper wird. #Ich muss mich halt ein bisserl einschränken#, sagt Brigitte Witz, #aber das fällt mir nicht so schwer.#

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