Plädoyer für einen Verurteilten

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Erika Mitterer über die Verurteilung eines jugendlichen Mörders. die furche 28. 5. 1966

Hier handelt es sich um einen Fall, in dem die Strafe bereits rechtskräftig ist, um den Fall des Familienmörders Rainer Wachalovsky. Ein Justizirrtum ist vollkommen ausgeschlossen. Der Angeklagte hat gestanden, seinen Bruder, seine Mutter und seinen Vater umgebracht zu haben. Er hat die Höchststrafe für Jugendliche bekommen, 15 Jahre strengen Arrests, und er nahm die Strafe an. [...]

Ausschlaggebend für den Ausgang des Prozesses war die Frage, ob der Mörder voll verantwortlich sei für seine Tat und ob er sie bei klarem Bewußtsein begangen habe. Da alle Sachverständigen das bejahten, hat der Angeklagte die Höchststrafe bekommen. Als mildernd wurden die tristen häuslichen Verhältnisse, die mangelnde Erziehung und das Bekenntnis der Reue gewertet, als erschwerend aber die Tücke des Überfalls auf den schlafenden Bruder und die ahnungslosen Eltern und die Gefühlskälte des Angeklagten, der zwar seine Reue verbal bekannt, aber weder nach der Entdeckung der Tat noch bei Gericht zu erkennen gegeben habe.

Juristisch stimmt alles. Menschlich nicht!

Muß dieses Kind nicht zwangsmäßig verlogen werden? Es renommiert in der Schule, da das mit dem Vater wohl bei bestem Willen nicht möglich ist, mit dem älteren Bruder. Es will mehr scheinen als sein. Es schämt sich dieses Elternhauses, lädt selten Kollegen ein, ist kontaktarm, gefühlskalt. Gefühle aber brauchen, um sich zu entfalten, eine liebevolle Umgebung. Geistige und seelische Anlagen, die nicht gefördert werden, verkümmern. Bis zu einem gewissen Grad war dies bei Rainer Wachalovsky gewiß der Fall; vor allem aber hat er die Fähigkeit erworben, unter keinen Umständen Gefühl zu zeigen: der Knabe hat Stunden vor dem Spiegel verbracht, um einen unbewegten Ausdruck einzustudieren. Wenn ihm wirklich nichts nahegegangen wäre, hätte er doch die steinerne Miene nicht erlernen müssen! Zu welchem Zweck tat er es? Wollte er vielleicht so männlich wirken wie die Revolverhelden im Kino? Ich glaube, er wollte etwas ganz anderes. Er wird die Erfahrung gemacht haben, dass jede Regung von Angst oder Abscheu den Vater zu vermehrter Grausamkeit aufstachelte, weshalb völlige Gleichgültigkeit das einzige Mittel war, ihn zu beruhigen! Aber erworbene Eigenschaften, wie eine solche Gefühllosigkeit, kann man nicht fallweise ablegen wie einen Hut. Wer mühsam gelernt hat, nicht zu weinen, der kann nicht mehr weinen. Und gerade darin wurde das Zeichen seiner Kälte und Verstocktheit gesehen.

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