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Eine gigantische Schau in Schloss Eggenberg führt durch Sprache und Schrift, Zeit und Raum.

Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt". So überliefert die Genesis den Mythos vom hochmütigen Streben der Menschen, einen Turm mit einer Spitze zu errichten, die "bis an den Himmel" reicht. Mit babylonischer Sprachverwirrung gebot Gott der Allmachtsfantasie seiner Geschöpfe Einhalt. In exzessiver Fülle widmet sich die Schau "Der Turmbau zu Babel" in Schloss Eggenberg dem faszinierenden Thema. Viele fantastische Darstellungen des archetypischen Baus wurden zusammengetragen, weitere Schwerpunkte bilden Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift. Über 600 Exponate von 115 Leihgebern, darunter archäologische Sensationsfunde aus dem Zweistromland, der Wiege der Schrift und anderen frühen Hochkulturen, sprachwissenschaftliche Dokumente, kunsthistorische Preziosen quer über Zeiten und Kontinente, interaktive Stationen und Installationen zeitgenössischer Künstler bilden einen sinnlichen-exquisiten Parcours atmosphärischinhaltlicher Dichte.

Schon im reizvollen Schlosshof wird Sprachverwirrung spürbar: Christian Möllers Installation "On Air" bildet einen künstlichen Wald, der in diversen Sprachen tönt. 37 hohe, schlichte Stahlsäulen im Raster ermöglichen beim Durchschreiten die akustische Weltreise von Albanisch, Bosnisch, Bulgarisch bis zu Pakistani, Tamil und Thai. Als optische Einstiegsdroge wirken im "Piano Nobile" etwa 200 Bilder zum "Turmbau zu Babel". Eine Miniatur aus der Weltchronik des Jansen Enikel um 1360 zeigt den Bau bescheiden: quadratisch, axonometrisch-geradlinig wächst ein schmaler Turm gen Himmel, drohend blickt ein Engel herab. Sorgfältig gezeichnet sind Flaschenzüge, Stein, Handwerker und Bauhütte. Mittelalterliche Darstellungen vermitteln viel vom Bauwesen und der gottesfürchtigen Haltung ihrer Zeit: schon vier Geschoße erscheinen vermessen. Opulenter mutet die gotische Miniatur eines französischen Meisters aus dem Stundenbuch des Herzogs von Bedford an: die stilbildende Wendeltreppe rankt sich den quadratischen Turm empor.

Hochmut ohne Kommunikation

Zu Weltruhm brachte es der Turmbau zu Babel von Pieter Breughel dem Älteren. Er wurde zum Archetypus, darf aber aus konservatorischen Gründen das Wiener Kunsthistorische Museum nicht verlassen. Eine Kopie von Pieter Breughel dem Jüngeren entschädigt: auch sie vermittelt die brüchig-unmögliche Konstruktion des gigantischen Baus. Emsig-unkoordinierte Betriebsamkeit auf allen Ebenen kann über den Keim der Zerstörung im diffusen Inneren nicht hinwegtäuschen. Bildgewordene Metapher zur fatalen Paarung aus Hochmut und Kommunikationslosigkeit. In den Niederlanden löste Breughels Schlüsselwerk einen Boom aus, beflügelte die Fantasie der Künstler zu vielen Themenvarianten. Spiralförmig, schneckenartig, als Zikkurate ragen gigantische Bauten gen Himmel. Eindrucksvoll destruktiv: "Zerstörung des babylonischen Turms" von Cornelis Anthonisz. Analytisch-schriftkundig hingegen Anastasius Kirchners Kupferstich "Coelum Lunae": aus Weltkugeln wachsend, kreuzen sich zwei schmale Spiraltürme, gesäumt von arabischen, hebräischen, lateinischen Lettern. Türme aller Art aus jeder Epoche.

Patrick Mimran setzte Breughel in der Installation "Babel TV" zeitgemäß um: hinter den Fenstern einer drei Meter hohen Turmskulptur flimmern 50 Monitore. Wörterbuchseiten und sprechende Münder liefern Pseudo-Information. Am Globus von Horst Campman wird linguistische Weltfülle deutlich: hier kann man die Sprache eines gewählten Landes hören. Wissenschaftliche Beiträge, Grafiken, Zitate, interaktive Stationen entwerfen ein sinnliches Panoptikum zu Struktur, Aufbau, Reichtum und Spracherwerb verschiedener Kulturen. Erlösung aus der Vielfalt bringt die künstlerische Umsetzung des Pfingstwunders in der Schlosskapelle. Das Gemälde von Juan Bautista Maino aus dem Prado stellt es dar, die Klanginstallation von Markus Huber füllt den Raum mit diffusem Stimmgewirr. Verweilt man, schält sich aus dem Chaos ein Satz: "Am Anfang war das Wort."

Vom Irak bis zu Indianern

Im Schriftteil herrscht konzentrierte Stille: die Aura von Jahrtausenden umgibt die exquisiten Exponate. Faszinierend sind mit kleinen Keilschriftzeichen übersäte Tontafeln: aus 1364 v. Chr. stammt ein Brief von Rib-Addi, dem Prinzen von Byblos, der Pharao Echnaton um Hilfstruppen bittet. Staatsverträge, Bestellungslisten und mehr sind hier zu bewundern. Weiter führt die Reise zu ägyptischen Hieroglyphen. Ein Glanzstück unter vielen: das wertvolle Priesterdekret aus Kanopos (238 v. Chr.), zweisprachig in griechisch und ägyptisch. Eine jüdisch-aramäisch beschriftete Zauberschale (4.-6. Jhdt.) soll vor Fieber und bösem Blick schützen. Griechische, semitische, arabische, tibetische Schriften, japanische Rollbilder, Evangeliare, Exponate aus Indien, China, Mexiko, Russland bis zur seltenen Knotenschrift der Inka sind zu sehen. Blindenschrift und Chiffriergeräte beenden die weltumspannende Schau. KHM-Direktor und Kurator Wilfried Seipel ist mit dem "Turmbau zu Babel" ein kulturhauptstadtwürdiger Kraftakt geglückt. Babylonisches Ausmaß hat auch der Katalog: acht Kilo wiegt der vierbändige Schuber, das hier vermittelte Wissen noch mehr.

Der Turmbau zu Babel. Bis 5. Oktober tägl. 10-18, Do. bis 21 Uhr. Schloss Eggenberg, Eggenberger Allee 90, Graz.

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