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Erneurer der Skulptur

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Ich spiirte tief drinnen, daB ich - al-lein gegen alle - recht hatte". Auguste Rodin war von seinem „ Balzac" iiberzeugt. Er sah ihn als Hohepunkt seines kunstlerischen Schaffens an. Trotz des Skandals, den die Presentation des Entwurfs fur ein Denkmal des franzbsischen Dichters 1899 auslbste. Und trotz aller Stim-men, die sich emport gegen die expressive, abstrahierte Darstellung er-hoben haben. „Schneemann", „Rie-senkasperl" oder „Michelangelo fur Idioten" beschimpfte man die vielleicht innovativste und revolutionar-ste Plastik Rodins.

Er hatte sich nicht getauscht. Der „Balzac" wurde in seiner radikalen, formalen Vereinfachung zugunsten des seelischen Ausdrucks zu einer Iko-ne der modernen Skulptur.

DaB man die Modernitat seiner Plastiken immer erst Jahrzehnte nach deren Fertigstellung erkannte, gehort untrennbar zur Biographie Auguste Rodins.

Schon mit seiner ersten groBen Skulptur „Das eherne Zeitalter" (1876) provozierte Rodin einen Kunstskandal. Der ungewohnte, extreme Realismus rief bei den Kriti-kern den Vorwurf hervor, Rodin habe die Figur nach Abgiissen vom leben-den Modell hergestellt. Erst Jahre spa-ter konnte er die Unrichtigkeit der Anklage glaubhaft machen.

Rodins Werk entstand im Wider-stand zur traditionellen Kunstauffas-sung, wandte sich gegen den klassizi-stischen Akademismus-Stil der Ecole de Beaux-Arts. Die klassischen For-men mit ihrer glatten Politur ersetzte er durch die fur ihn charakteristische Modele-Gestaltung. Die Oberflache

einer Rodin-Skulptur bewegt sich, Licht und Schatten lassen die Plastik lebendig erscheinen. Zugleich kehrt er die psychische Befindlichkeit nach auBen. „Der Korper ... ist fur ihn die Seele" schreibt Rainer Maria Rilke. Rodin begriindete den Ursprung einer neuen Plastik. Und dies muBte verstoren.

DaB heute tausende Besucher in Paris, New York oder Tokio bewun-dernd vor seinen genialen Men-schenbildern stehen, gehort zu den sich wiederholenden Mechanismen der Kunstgeschichte.

Das Rodin-Fieber hat nun auch Wien ergriffen. Uber sechzig der be-deutendsten Skulpturen und dreiBig-Zeichnungen zeigt das Kunsthistori-sche Museum unter dem Titel „Eros und Leidenschaft" im Palais Harrach. Eine umfangreiche Photodokumen-tation und ein Videofilm ermoglichen Einblick in das Leben und die Ar-beitsweise des Bildhauers.

Mit dem Titel wird auf die Beziehung Bodins zum Wien Sigmund Freuds und Gustav Klimts hingewiesen. Tatsachlich sind die Parallelen von Rodins Gedanken und dem Lebens-gefiihl im Wien der Jahrhundert-wende auffallig. Wenn Rodin in seinen Skulpturen wie „Erde" (1884) Eros als Triebkraft kunstlerischen Schaffens zeigt, so nimmt er auf bild-nerische Weise Grundgedankea Freuds vorweg. Rodin war 1901 in der 9. Ausstellung der Wiener Sezession

mit einer Auswahl seiner Werke ver-treten. Ein Jahr spater besuchte er fur einige Tage Wien. Hier traf er mit Klimt und anderen Sezessionisten zu-sammen. Der EinfluB des franzbsischen Bildhauers auf das Wiener Kunstgeschehen um 1900 ist unver-kennbar. Als Rodin 1908 Zeichnun-gen im Wiener Kunstsalon „Heller" ausstellte, wurde von Kritikern die Verwandtschaft mit der Gefiihlswelt Klimts und Schieles bemerkt. Die Einleitung zu dem Katalog hatte Rainer Maria Rilke geschrieben. Rilke war als groBer Bewunderer Rodins ein Jahr lang als Sekretar des Bildhauers tatig.

Rodins kiinstlerischer Werdegang bis zum Erfolg war kein leichter. Nachdem er dreimal an der Aufnah-mepriifung in die Pariser Kunsthoch-schule scheiterte, muBte er sein Geld zunachst als Modelleur dekorativer Plastiken in verschiedenen kunst-handwerklichen Ateliers verdienen. Erst als 40jahriger gelang ihm der lang erhoffte Durchbruch. Er erhielt den Auftrag fur das Portal des ge-planten Musee des Arts Decoratifs. Das Museum wurde nie gebaut, aber aus dem vorgesehenen Portal ent-wickelte Rodin sein gewaltiges Hauptwerk, das „Hbllentor". Zu die-sem Zeitpunkt beschaftigte er etwa fiinfzig Mitarbeiter in seiner Werk-statt. Darunter auch die junge talen-tierte Bildhauerin Camille Claudel, die iiber ein Jahrzehnt seine Mitar-beiterin und Geliebte war, bis das Ver-haltnis 1893 zerbrach. Rodin hatte sich von seiner langjahrigen Lebens-gefahrtin, der Naherin Rose Beuret, nicht trennen wollen.

In der Ausstellung gedenkt man Camille Claudel nicht nur als „Muse reele", die den Bildhauer zu zahlrei-

chen Skulpturen wie etwa „Der KuB" inspirierte. Eine von Claudel modellierte Biiste Rodins und die Skulptur „Torso der Klotho" zeigen, wie beeindruckend ihre eigenen Arbeiten sind.

Die nach thema-tischen Begriffsfel-dern geordnete Schau prasentiert Originale oder Ent-wiirfe aller wichtiger Rodin-Werke. Neben einem Modell fur das „Hbl-lentor", fur das Rodin urspriinglich Schliisselwerke wie „Der Denker" oder auch „Der KuB" schuf, fasziniert ein Entwurf fiir die Fi-gurengruppe „Biir-ger von Calais".

Das Denkmal wurde 1884 in Auftrag gegeben. Rodin sollte den Biir-gern, die fiir die Be-

freiung der Stadt im -

Hundertjahrigen

Krieg ihr Leben riskiert hatten, ein Denkmal setzen. Rodin schuf ein Denkmal entgegen aller Tradition. Er zeigte die sechs Manner nicht im ide-alisierenden Heroismus, sondern in ihrem psychischen Konflikt. Seine Konzeption sah vor, die Skulpturen-Gruppe ohne Sockel vor dem Rathaus aufzustellen. Die Figuren sollten mitten im alltaglichen Leben stehen, mit

den Menschen kommunizieren. Die Auftraggeber waren emport und stell-ten die Gruppe auf einen erhbhten Sockel, umgeben von einem Gitter. Erst Jahre spater hat man Rodins AVunsch erfullt. 1924 wurden die „Biirger" von ihrem Sockel befreit. Es hatte ein Menschenalter gebraucht, um Rodins Modernitat zu begreifen. (Bis 26. August)

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