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Bildhauerei nach der Sintflut

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Die zwei wichtigsten Ausstellungen dieser Tage wurden von ausländischen Kulturinstituten veranstaltet oder doch patronisiert: das .Institut Francais“ zeigt im Lobkowitz-Palais Zeichnungen und Aquarelle Auguste R o-dins, das .British Council“ hat wesentlichen Anteil an der dem englischen Bildhauer Henry Moore gewidmeten Ausstellung in der Albertina. Von einer Revancheexposition österreichischen Kunstschaffens in Paris, London oder Amerika hörten wir vorderhand leider nichts; zwar hätten auch wir manches zu zeigen, aber kein Kulturinstitut, das ins Ausland zu wirken vermöchte...

Rodin und Moore — zwischen diesen beiden Bildhauern, dem Franzosen und dem Engländer, bestehen Unterschiede und Zusammenhänge wie zwischen Tag und Nacht. Rodin, das ist Zusammenfassung der Bildhauerei vieler Jahrhunderte, das bedeutet Schaffung von Körpern, die breit und ausladend und vielfältig bewegt im Raum stehen wie Wellenbrecher im Wasser — siegreich den Raum verdrängend, aber vom Licht besiegt und im Licht sich verzehrend. Die Raumauffassung Rodins ist im Grunde keine andere — wenn auch eine ausgeprägtere — als die der Renaissance; das die Materie auf- und erlösende Licht hat ei entdeckt. Daß Rodin ein Impressionist war, ist eine Halbwahrheit; denn er war nicht nur das — große Kunst ist niemals mit einem Wort, sondern im besten Fall nur mit einem doppelsinnigen und gespannten Paradoxon oder einer Metapher zu beschreiben —, er war auch Klassiker, Expressionist, und es fällt nicht einmal sehr schwer, aus den Zeichnungen, die im Lobkowitz-Palais hängen, einen abstrahierenden Rodin herauszulesen. Sicher ist nur eins: daß er ein Vollender war. Nein, sicher ist auch das nicht. Nur wahrscheinlich.

Henry Moore aber, das ist der Vorstoß ins gänzlich Ungewisse. Das Licht spielt in seinem Schaffen eine ganz andere, ebenso besondere wie unbestimmte Rolle; zu einer Funktion des Raumes geworden, wirkt es in Moores Zeichnungen — die noch viel weniger als die Rodins nur Studienzeichnungen zu Skulpturen sind — diffus und eigentlich .lichtlos“ i es ist da, aber man weiß nicht, woher es kommt. Es hilft mit, einen endlosen Raum von Öd' und Einsamkeit zu schaffen. In diesen stellt Moore nun sein« Figuren hinein. Unter dem ungeheuren Druck des Raumes beginnen sich die Figuren zu deformieren wie Dinge, die zu tief in die Trichter des Meeres hinabsinken: große Körper blähen sich auf und schlappen auseinander, kleine werden zusammen- und in die Länge gedrückt; Innenräume öffnen sich und werden vom Raum durchspült, weiche Materien verhärten sich, Vorsprünge werden abgeschliffen, ähnlich wie Kieselsteine oder Wurzelstöcke vom Stromwasser geglättet und poliert werden. Das sind gewiß keine sehr anheimelnden Vorgänge, aber es lohnt sich doch, einen Vergleich mit den Surrealisten anzustellen, in deren Bildern der R'aum die Figuren nicht erstarren, sondern verwesen läßt. Bei den Surrealisten scheint es nichts Unzerstörbares zu geben, bei Henry Moore aber hat man die sehr bestimmte und konkrete Vorstellung, daß das, was der Raum an seinen Figuren übriggelassen hat, jeglicher weiteren Zerstörung Trotz bietet. Daher sind denn auch diese Blätter Rodins jenseits aller Unheim-lichkeiten von einer vagen und etwas melancholischen Tröstlichkeit erfüllt, als ob sie eine Welt schilderten, von der die Wasser der Sintflut abgeflossen sind: was zurückblieb, ist schon Bestandteil des Aufbaues. — Henry Moore hat eine Reihe von später berühmt gewordenen .Bunkerzeichnungen“ geschaffen, in denen er die Verängstigten und Geschlagenen in den Luftschutzkellern des zweiten Weltkrieges darstellte. Man sieht sie in der Albertina eng neben den anderen, gleichsam die Restbestände des Menschlichen katalogisierenden Blättern hängen. Und begreift die inneren Zusammenhänge zwischen beiden...

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