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Munchs Graphik

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Bedeutsame kulturelle „Begleiterscheinungen“ zum Staatsbesuch König Olavs von Norwegen ist die Ausstellung von Graphiken Edvard Munchs aus den Beständen des Munch-Museums in Oslo. Die Albertina zeigt diese Schau bis Ende Oktober, darunter zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle, die zum erstenmal außerhalb der Heimat des Künstlers zu sehen sind. Ein ungeheures Spannungsfeld wird hier abgesteckt, von der anatomischen Studie des Akademikerschülers — ein Skelett, noch ganz akademisch hin- gezeichnet — bis zum Spätwerk des hochbejahrten Meisters.

In diesem Spannungsfeld vollzieht sich, gleichsam umschlossen von der schweren Welt der Fjorde und dunklen Seeufer, das eruptive Entstehen der Seelenlandschaft Munchs, dicht durchwachsen mit düsterer Symbolik und Todeskeimen, bestimmt von der schicksalhaften Polarität der Geschlechter, des Menschen Hörigkeit, des Menschen Dumpfheit. Die Leitmotive kehren in Munchs frühem graphischem Oeuvre mit schwelender Dämonie immer wieder: die Urnen und Vampire, das Mädchen und der Knochenmann. Wenige Jahrzehnte später griff ein nun verschollener Radierer dieses Thema auf und variierte es in einem kitschig-gruseligen Naturalismus. Man sah diese Blätter oft in Ordinationszimmern, di beengenden Krankenstuben, dt philiströse Boheme v.on Christiania, eine satirische Charakteristik von beklemmender Eindringlichkeit. Der Einunddreißigjährige schafft ein radiertes Selbstporträt, der Kopf wird guillotiniert ins tiefe Schwarz gestellt, am unteren Bildrand, halb ornamentale Chiffre, halb fragmentarischer Motivrahmen, ein skelet- tierter Arm eingesargt, so wie die alten Meister ihrem Konterfei Freund Hein gesellten.

Das Genie aus den Fjorden ist der geistige Bruder Strindbergs und Rodins, auch ihm wird Schaffen zur Spiegelung der unlösbar an die Sinne geketteten Seele. Das Weib als des Mannes Verderben und zugleich als Beute seiner Begierde, dieser ewige Agon reißt im Bild die selben existenziellen Tiefen auf, die Strind- berg mit dem Gedanken auszuloten und mit dem Wort zu beschwören suchte. Munchs nordische Liebespaare in ihrer lyrischen Monumentalität und aus dem Ornamentalen aufwachsenden Ausdruckskraft finden ihren Widerpart in Rodins umschlungenen Liebenden, und der versonnene Jüngling auf Munchs flächig so wunderbar ausgewogenem Holzschnitt „Melancholie“ ist in der gleichen geistigen Sphäre eines großen Wendepunktes verwurzelt wie Rodins „Denker“. Das besondere Erlebnis dieser Ausstellung sind die Holzschnitte, diese Technik beschäftigte den Künstler bis ins Alter, wobei ihn vor allem der unmittelbare Akt der Arbeit an der Holzplatte reizte, die schöpferische Auseinandersetzung mit der Materie. Sinnfälliger Beweis sind die erhaltenen Druckstöcke, reliefartig, oftmals unter struktureller Einbeziehung der Maserung. So entstand das grandiose Blatt „Der Kuß“ (1898), eine geniale Vorwegnahme künstlerischer Mittel, die einer erst Jahrzehnte später valenten Entwicklung die Richtung wiesen.

Die Zeichnung hat für Munch meist keine Eigenfunktion, sondern ist Skizze, Vorstudie, erste Annäherung an ein Motiv, graphischer Niederschlag eines Gedankens. Der lineare Duktus, in den frühen Porträts noch oft der Stilisierung verhaftet, vereinfacht sich immer mehr zur expressiven, die Formen dynamisch umreißenden Kontur. Sie ist zugleich Manifestation einer allmählichen seelischen Befreiung, die Frau ist für den gereiften Munch nicht mehr Dämon Weib, sondern Sinnbild des Lebens in einer helleren, vom Geist bezwungenen Welt. r

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