6551660-1947_47_10.jpg
Digital In Arbeit

Der Arbeiter in der modernen europäischen Skulptur

Werbung
Werbung
Werbung

Die Geschichte der Arbeit ist so alt wie die Geschichte der Kultur. Bildete seit jeher die Gestalt des geistigen Arbeiters einen hervorragenden Gegenstand der Skulptur, so fand auch der Anteil des Handarbeiters an dem gigantischen Versuch, der Natur den Willen des Menschen aufzuzwingen, bereits vor mehr als viertausend Jahren seine einzigartige Würdigung: in den ägyptischen Reliefs des Alten Reiches. Der ägyptische Künstler, aus dem dienenden Sklavenstande kommend, schilderte die Welt des Handwerkers mit naiver Erzählerfreude und dachte nicht daran, das tatsächliche Sklaventum des Arbeiters etwa zu betonen oder gar ins Heldische zu steigern. Die orientalische Welt des Despotismus hatte noch kein Auge für die Unwürde des Sklavendaseins, denn erst die griechisch-christliche entdeckte die Würde des Menschen.

Seit dem 19. Jahrhundert nun geht es nicht mehr um den Handwerker, sondern um ■ den Industriearbeiter. Die Industrialisierung, die ein neues kollektives Gefühl und damit das moderne soziale Denken zur Folge hatte, gab der Kunst das neue Thema des Arbeiters auf. Diese thematische Erweiterung der Kunst begann mit der neuen Sehweise, mit der man die Weltgestalt des Bauern erfaßte und gestaltete. Im Revolutionsjahr 1848 stellte Jean Francois Millet im Pariser Salon seinen „Kornschwinger“ aus, wo /Zum erstenmal der Bauer, als ein heldischer Sklave der Arbeit, bei seiner Tätigkeit gezeigt wurde. Millets Gemälde sind uns als Wandschmuck unserer Schulen und aus unseren Lesebüchern ein fester Begriff geworden. Ihre Monumentalität schöpfen diese Bilder nicht zuletzt aus einer tiefen Frömmigkeit, wie sie dem in Zersetzung begriffenen Bauernstand von heute nur zu wünschen wäre. Die österreichische Bauernmalerei entwickelte sich von Franz Defregger bis Albin Egger-Lienz und darüber hinaus zu der reichhaltigen , Schau unserer zeitgenössischen Kunstausstellungen.

Millets arbeitsetbische Einstellung brach auch der künstlerischen Bewältigung der Arbeitergestalt die Bahn. Ausgegangen ist die Bewegung von Belgien, in dessen Kohlenrevieren die moderne Industrialisierung -mit all ihren heftigen sozialen Kämpfen begann. Zunächst bemächtigte sich des neuen Themas die Malerei, die im»19. Jahrhundert gegenüber der schwerfälligeren Skulptur die Führung innehatte. Mit belgischen Tendenzbildern setzte es ein, etwa dem Triptychon „Die Lebensalter des Arbeiters“ von Leon Frederic, worauf Con-stantin Meunier folgte, als Maler wohl kaum mehr im europäischen Bewußtsein. Ferner sei verwiesen: in Holland auf den sachlichen Jozef Israels, den ekstatisch mitleidenden Vincent van Gogh, in Deutschland auf das grandiose „Eisenwalzwerk“ von Adolf Menzel, die Darstellung Jesu als modernen Proletarier bei Fritz von Uhde, die wissenschaftliche Sachlichkeit Max Liebermanns, die erschütternden Graphiken von Käthe Kollwitz.

Auguste Rod in gab der europäischen Skulptur mächtige Impulse. Nun griff auch sie nach der Gestalt des Arbeiters, ja achtete sie sogar des kostbaren Materials der Bronze für würdig. Abgesehen von belgischen Bildhauern, wie Cathier und Willem de Groot, ist vor allem Constantin Meunier zu nennen, der als erster sein ganzes Lebenswerk in den Dienst der Arbeiterdarstellung stellte. In seinem bildhauerischen Werk von großer Schönheit schilderte er den Bergarbeiter, den Schmied, den Werftarbeiter, den arbeitenden Bauern, und schließlich den Arbeiter jeglicher Art. Er sah im Arbeiter nicht das Fronopfer der Gesellschaft, sondern den tapferen Bezwinger der Welt. Die Antriebe zu dieser Auffassung sowie zu seinem gegen die Jahrhundertwende gefertigten Monument (eine mächtige Rundfigur und vier Reliefs) empfing Meunier von der überwältigenden Weiterentwicklung der Industrialisierung zur Technisierung des menschlichen Lebens.

Aber Meuniers Monument scheiterte ebenso wie Rodins .Denkmal der Arbeit“

an der Unzulänglichkeit der Zeit und der eigenen Unzulänglichkeit zu großen tekto-nischen Leistungen. Rodins Denkmal sollte in seinem architektonischen Gerüst aus einer Säule, Wendeltreppen und Bogengängen bestehen. Eine Unmenge von Figuren: Freiskulpturen, Reliefs, Köpfe usw. sollten eine Geschichte der Arbeit vom Bergmann und dem Arbeiter in den Eisenhütten über alle Gewerbe bis zum geistigen Arbeiter geben. Zwei Genien, als einziges Stück gesondert in Bronze gegossen und „Der Sieg“ oder „Der Ruhm“ betitelt, sollten das Denkmal krönen. Daß Rodins Plan nicht zur Ausführung gelangte, hat wohl tiefere Ursachen als sein fast hybrider Gestaltungswille, dem sein eigenes tektonisches Unvermögen entgegenstand. „Der Zeit fehlen die Kathedralen!“ Dieser Ausspruch Rodins bedeutet mehr als die Sehnsucht nach den großen kollektiven Kunstleistungen des Mittelalters. Einer Zeit, der die Kathedralen fehlen, mangelt auch die Frömmigkeit, ohne die so umfassende monumentale Gestaltungen, die den Ewigkeitswert einer wirklich kulturellen Tat beanspruchen dürfen, aus ideellen und aus praktischen Gründen nicht möglich sind. Die Fadenscheinigkeit des im Rausch der Technik gezeugten Siegesgefühls ist der Menschheit bereits längst aufgedämmert. Auch erkennt man da und dort den Frevel und die Gefahr, dem gottentbundenen Menschen eine Verehrung zu zollen, die angesichts der Kathedralen früherer Jahrhunderte wie Götzendienst anmutet.

Rodin wollte in sein Monument auch den geistig Schaffenden mit einbezogen wissen. Er, aber audi Rainer Maria Rilke und Thomas Mann fühlten sich durchaus als Arbeiter. Stützte sich Rilke auf das adelige Mäzenatentum, Thomas Mann auf das scheidende Bürgertum, so wiesen doch beide bereits auf den neuen Arbeiterbegriff, wie er sich nunmehr abzuzeichnen beginnt (Rudolf Bayr).

Neben und nach Meunier ist eigentlich nur mehr der Augsburger Fritz Koelle zu nennen, der sich ausschließlich der Darstellung des Arbeiters verschrieb. Koelle steht entwicklungsgeschichtlich weit genug ab sowohl von dem „malerischen“ Bildhauer Rodin als auch von den „tektonischen“ Bildhauern Aristide Maillol und Adolf Hildebrand, um die Geschichte der Bronzebehandlung zu bereichern und doch zu wesentlich geschlosseneren Leistungen wie Meunier zu gelangen. Koelle verbindet äußerste Porträthaftigkeit mit monumentaler Typik der Gestaltung.

Lediglich zwei Bildhauer, die ihre künstlerische Existenz dem modernen Arbeiter aufopferten; das ist wenig. Und Arbeiterbildhauer im Sinne eines Arbeiterdichters wie etwa Heinrich Lersch — keiner. Und dies trotz der starken Wirkung, die von den sozialen Problemen und deren Lösungsversuchen zweifellos ausging. Kamen auch manche Bildhauer aus dem Arbeiterstande, wie zum Beispiel der Münchener Christoph Voll, so schufen sie wohl unter anderem auch Arbeiterfiguren, im übrigen aber wurde das Sonderthema des Arbeiters von den allgemeinmenschlichen Themen verdrängt. Auch die österreichischen Arbeiterfiguren Viktor Tilgners an seinem „Werndl-Denkmal“ in Steyr fanden wenige Nachahmer. Und unsere Arbeitersiedlungen regten höchstens zu Architekturplastiken allgemeinster Art auch in der Behandlung der Arbeitergestalt an. In allen zeitgenössischen Kunstausstellungen, mögen sie ein einzelnes Land oder die Gesamtheit Europas umfassen, scheint in der Skulptur das Thema des Arbeiters entweder gar nicht“ auf oder wird von der Fülle der anderen Themen völlig in den Hintergrund gedrängt. Die „Erste große österreichische Kunstausstellung 1947“ brachte lediglich Karl Stemolaks „Bergmann“.

Die geistige Bewegung der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war wohl zu kurz, um im ersten Ansturm zu vollgültigen bildhauerischen Gestaltungen des Arbeiters zu gelangen; reagiert doch die Skulptur wesentlich langsamer als Malerei und Dichtung auf neue Themen. Seither aber macht sich ein Wandel der Auffassung bemerkbar: der Gegensatz von „Bürger“ und „Arbeiter“ erscheint in fast allen Ländern Europas bei weitem nicht mehr so groß, um nicht überwunden werden zu können. Sind die „Klassenuntersdiiede“ tatsächlich so unüberbrückbar? „Wer ist zum Beispiel heute ein Proletarier* und wer ist kein ,Arbeiter'?“ (Gotthart Montesi.) Sollten die Drohnen der Gesellschaft und die eigennützigen, die Menschheit immer wieder an den Abgrund der Vernichtung treibenden asozialen Elemente einmal in die Minderheit gedrängt werden, dann könnte diese Menschheit endlich danangehen, dem „Arbeiter Mensch“ ein Denkmal der Ehre und des Ruhmes zu setzen, denn dann würde die göttliche Wirksamkeit im Antlitz der Geschichte erkannt worden sein.

Bis dahin aber wird Europa noch vieles zu bewältigen haben. Trotz des weiten Weges aber darf und soll uns die Hoffnung erfüllen, aus Schutt und Tränen dereinst neue und schöne Kathedralen erstehen zu sehen, worin auch der Arbeiter seinen ehrenvollen Platz erhalten würde, dieser Arbeiter der Zukunft, der an der Natur nicht nur u m, sondern auch i n sich unablässig werkte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung