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Expressionismus aus dem Norden

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Es gibt eine Reproduktion in allen Kunstalmanachen: Sie zeigt eine Brücke, dahinter eine düstere Bucht, und einen drohend tiefverhangenen Himmel. Im Vordergrund krümmt sich eine lemurenhafte Gestalt mit klaffendem Mund und in wilder Panik aufgerissenen Augen. Die erhobenen Hände sind an die Ohren gepreßt. Der „Schrei”, der da ausgestoßen wird, der nahezu körperlich zu uns dringt, ein Ur- laut, der die gewalttätige, explosive Bildatmosphäre beherrscht, kennzeichnet den erregenden Ideengehalt Eduard Munchs, der (gleich van Gogh) einem halben Jahrhundert Thema und Losung gab: die bildnerische Gestaltung innerer Vorgänge. Die literarische Abhandlung des Menschlichen, des Seelischen, des Psychoanalytischen: Die Beziehung zwischen Mensch und Mensch, und Mensch und den Mächten. — In engster Nachbarschaft mit Edvard Munch gebar die Malerei ihren dramatischesten Stil: den Expressionismus.

Die Edvard-Muneh-Ausstellung in der Akademie der bildenden Künste zeigt die schöpferische Entwicklung eines Weggenossen der modernen Malerei. Die 62 Bilder und 80 Graphiken sind demonstrative Marksteine1 ęines Vojahnęrs und’, Vollstreckers. Sein Variierung der Angst, des Schreckens, der Verzweiflung, der Einsamkeit, des Todes. Symbolgestalten, immer vor eine tragische nordische Landschaft gestellt, immer unmittelbar mit dieser Landschaft verbunden: expressive Bloßstellungen des Menschen in der Allgegenwart der Natur. Ibsens Psychologisierung und Strindbergs Zerwürfnis mit der Welt liefern Stoff und Auseinandersetzung.

In der großen Ausstellung dieses großen Norwegers vermeint man den ganzen Werdegang der frühen modernen Malerei vorüberzieheri zu sehen: Munchs Weg führt aus der Geschmacksbedingtheit der Jahrhundertwende. Er wurzelt in der traditionellen naturalistischen Darstellung („Musik auf der Carl- Johan-Gate” 1889) und streift den Impressionismus (Nacht” 1890 und besonders „Rue Laffayette in Paris” 1891). Immer wiederkehrende Anklänge an den Jugendstil und Annäherungen an die Faüves sind unverkennbar. Allmählich tritt die starke, gewalttätige, kurvenreiche Konturierung der Personen in den Vordergrund — (und besonders in der Graphik ab 1894)

der symbolisch-literarische Gehalt: Er bleibt künftighin charakteristisch, er schafft die eindrucksvollste Periode. Er begleitet die „Lebensfries”-Themen („Das Sterbezimmer” 1894, „Pubertät” 1895, klingt aus im „Tod des Marat” 1906) und den „Lebenstanz”- Zyklus („Tanz am Strand”, vor 1905). Später setzt eine ruhigere, anschaulichere (und gefälligere) Epoche ein („Küstenlandschaft” 1918 etwa und „Das kranke’ Mädchen” vor 1926): Resignation, oder reife, mildere Weltschau, gleichviel — der Schaffensprozeß klingt aus, versiegt.

Ein zweiter Großer der früheren Moderne ist Oskar Schlemmer (in der Galerie Würthe): 86 Zeichnungen (die jüngste 1912, die letzte 1937) kennzeichnen ein Lebenswerk der Studien, der Analyse, der Symmetrie. Das Sujet ist stets die Figur in einer klaren, strengen, nahezu klassisch reinen Existenz im Bildraum. Die Wurzel liegt im Kubismus; Picasso, der frühe Leger und Paul Klee bilden da Ausgangsgerüst. Die geistige Heimstätte liegt im Weimarer „Bauhaus”, woselbst Schlemmer von 1909 bis 1919 studierte und von 1920 bis 1929.

Dreiundvierzig zeitgenössische österreichische Graphiker in der Galerie Verkauf : nicht mehr und nicht weniger in einem kleinen, aber erlesenen Rahmen. Die einzelnen zu würdigen, verbietet nicht etwa der Anlaß, um so mehr aber der Raum. Naturalismus, Expressionismus, Surrealismus und Tachismus, Sezession, Art-Club, Hagenbund und Kreis, Radierungen, Skizzen, Holzschnitte und Lithos — und eine Fülle von Namen der ersten Graphikergarnitur bilden einen übersichtlichen (und sehr gut ausgewählten) Querschnitt aus einenr,überaus reichhaltigen und ausnahmslos überdurchschnittlichen Schaffen, das unbedingt beachtet werden muß. An Stelle einer Aufzählung der von. Kokoschka über’ Fuchs und Moldowan zu Kolbitsch reichenden Beteiligten: Wer sich orientieren will, wer an der Gegenwart Anteil haben will, wer (zu auffallend günstigen Preisen). Qualität erwerben will, der gehe hin, in die Riemer gasse 14. Der Besuch lohnt sich.

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