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Vorstöße in malerisches Neuland

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Beide haben porträtiert. Der eine Menschen, der andere Landschaften. Hundert Jahre trennten sie. Hans Holbein der Jüngere wurde 1497 geboren, Claude Lorrain 1600. Über beide liegen neue Bildbände vor, jeder ein ansehnliches Stück Wissensvermittlung.

Die thematische Spannung wird noch dadurch verschärft, daß man versucht ist zu sagen, Holbein habe die Landschaft geradezu ausgespart, obwohl er sie zu malen verstand, wie die wenigen Bilder zeigen, in denen sie im Hintergrund vorkommt. Zum Beispiel die dramatische Wolkenstimmung im Hintergrund des vom Sechs-undzwanzigjährigen gemalten Bildes „Noli me tangere”. Mit viel Einfühlung kann man hier bereits die für Lorrain typische Staffelung mit den Bäumen und dem Durchblick in die Ferne erahnen, die später den 175 Jahre nach Lorrain geborenen William Turner so beeindruckte.

In Holbeins Hintergründen, vor allem seiner biblischen und legendären Szenen, spielt die Architektur, das vom Menschen Geschaffene, eine viel wichtigere Bolle. Aber eigentlich suchte und fand er die ganze Welt im menschlichen Gesicht.

Oskar Bätschmann und Pascal Griener ist es in ihrer Holbein-Monographie gut gelungen, die Entwicklung eines Künstlers in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Umständen, historischen Ereignissen und Auftraggebern darzustellen und dem Leser eine Ahnung davon zu vermitteln, welche Bedeutung diese äußeren Umstände für seinen Lebensweg hatten. Für Holbein waren zwei Einflüsse von besonderer Bedeutung: Der künstlerische Dürers und der geistige Einfluß des Erasmus von Rotterdam. Aber ohne die Auswanderung, ohne den Erfolg in England, wäre er kaum der geworden, den wir kennen.

Rasel, wo der in Augsburg Geborene mit siebzehn Jahren in die Werkstatt von Hans Herbst eintrat, hat später mehrmals mit verlockenden Angeboten versucht, ihn zurückzuholen. Tragischerweise kam es nicht mehr dazu. Er dürfte seine Rückkehr vorbereitet haben, starb aber in London im Alter von nur 45 Jahren wahr scheinlich an der Pest.

Ein Schlüsselsatz der Holbein-Monographie lautet, sein zentrales künstlerisches Problem habe zwei Pole gehabt, nämlich „die phantastische Erfindung und die virtuose Nachahmung”. Ein technischer Virtuose war er, neben der außerordentlichen Einfühlungsgabe als Porträtist, der er vor allem seinen Nachruhm verdankt, tatsächlich. Aus diesem frühen Virtuosentum ergaben sich die künstlerischen Problemstellungen des jungen jüngeren Holbein sozusagen zwanglos. Die Körperlichkeit hatte es ihm in dieser Zeit angetan, die Wölbung, das Problem einer neuen, wirklichkeitsnäheren und eindrucksvolleren Wiedergabe des Dreidimensionalen in den zwei Dimensionen der Malerei. Hingegen interessierte ihn die Spaltung zwischen innen und außen, dem Wesen und der Erscheinung, mit der sich Dürer lebenslang herumschlug, überhaupt nicht.

Selbstbewußt schrieb der Vierund-dreißigjährige in den ornamentierten Deckel des Medaillons mit seinem Porträt Melanchthons: „Der du die Gesichtszüge Melanchthons erblickst, als wären sie beinahe lebendig: Holbein hat sie mit außergewöhnlicher Geschicklichkeit geschaffen.”

Wer weiß, ob 1 lolbein Basel (wohin es ihn immer wieder zog) je verlassen hätte, wäre er dazu nicht mehr oder weniger gezwungen gewesen. Aber der Erbe der Benaissance, der Humanist par excellence, erlebte in Augsburg nicht nur einen Ausbruch von religiösem Fanatismus weltgeschichtlichen Ausmaßes, sondern verlor auch einen großen Teil seiner Aufträge und erlebte das abrupte Ende seiner Tätigkeit als Maler religiöser Themen. Nachdem Zwingli 1524 in Zürich die „geordnete Zerstörung der Bildwerke in den Kirchen unter behördlicher Aufsicht” durchgesetzt hatte, kam es 1529 auch in Ba-* sei zum Bildersturm. Ein oder zwei Werke Holbeins blieben nur erhalten, weil sie rechtzeitig aus den Kirchen entfernt worden waren. Holbein hoffte auf eine Position in Frankreich und studierte das französische höfische Porträt, ehe es ihn - mit einer Empfehlung Erasmus von Botter-dams unter anderen an Thomas Morus - nach England verschlug.

Wie anders die Atmosphäre, in der sich Claude Lorrain entwickeln konnte! Und wie so ganz anders die künstlerische Haltung dieses Malers und dementsprechend seine Problemstellungen. Auch hier sind nur einige Andeutungen möglich, muß auf das ebenfalls exzellent illustrierte, von Werner Schade herausgegebene Buch „Claude Lorrain” verwiesen werden. Genau hundert Jahre nach Holbeins erster Ankunft in England ließ sich Claude Lorrain in Born nieder. Wie Holbein in England, fand er in Bom eine offene, tolerante Atmosphäre, ein kunstsinniges Publikum und hohe und höchste Förderer, unter anderem in Papst Urban VIII. Wie Holbein, besaß auch Lorrain bemerkenswerte Fähigkeiten als Architekturmaler. Doch bei aller Bandbreite verdankt auch Lorrain seinen Nachruhm der einen, alles andere in den Schatten stellenden Fähigkeit und Thematik, in seinem Fall als ein Maler, der -ähnlich wie Holbein das menschliche Antlitz - die Landschaft, das Antlitz der Erde, auf völlig neue Weise sieht.

Auch bei Werner Schade findet sich ein vieles erhellender Schlüsselsatz: Als „Claude in Rom erschien, war die Schwelle zur Landschaftsmalerei noch nicht wirklich überschritten. Das Feld war immer nur sporadisch bebaut worden, nie hatte sich ein Maler auf ihm niederlassen können, wozu natürlich auch eine Gruppe potenter Auftraggeber gehörte”. Und ähnlich spürt man, ähnlich wie bei Holbein den humanistischen Impetus hinter dem Porträt, auch bei Lorrain die noch von keiner Tradition belastete Entdeckerfreude, die den in Neuland Vorstoßenden zur Höchstleistung befähigt. Holbein darf als weithin bekannt gelten. Lorrain ist nach der großen Verehrung, die er bei den Romantikern des 19. Jahrhunderts genoß, heute wieder einmal völlig neu zu entdecken.

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