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„Lola“ – eine Zeitmaschine, um Hitler zu besiegen

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„Lola“ imaginiert die Geschichte zweier Schwestern, die im Zweiten Weltkrieg eine Zeitmaschine erfinden.

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„Lola“ imaginiert die Geschichte zweier Schwestern, die im Zweiten Weltkrieg eine Zeitmaschine erfinden.

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Wenn eine Gesellschaft sich mit ihrer Geschichte beschäftigt, kommt immer wieder die Frage auf: Was wäre geschehen, wenn ...? Indem der Mensch verschiedene Möglichkeiten durchdenkt, eröffnet sich ein Raum, wo er ethisch abwägen kann, er schärft sein Bewusstsein für alternatives Handeln. Ein solches Gedankenspiel kann sich äußerst kurzweilig und packend entspinnen, der irische Regisseur Andrew Legge führt vor, wie es geht. In „Lola“ blickt er in die Zeit zurück, in der das Regime Adolf Hitlers die Hegemonie in Europa anstrebte. In diesen Jahren gelingt es zwei weiblichen Technik-Nerds, den Schwestern Thomasina und Martha Hanbury, ein Gerät, Lola genannt, zu entwickeln, das elektromagnetische Wellen aus der Zukunft empfängt.

Die jungen Frauen haben über die medialen Produkte, die nun über ihre Bildröhre geisterhaft flimmern und natürlich selbst eine Interpretation der Zeitgeschichte darstellen, an einem Mentalitätswandel teil, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa ereignete. Über die Populärkultur, vor allem die Musik, änderten sich Einstellungen und Umgangsformen, wurde der Habitus der Geschlechter durchlässiger, mehrdeutiger. Zu Thomasinas und Marthas Idolen werden jetzt The Kinks („Lola“), Bob Dylan, David Bowie, Nina Simone, aber auch der Filmemacher Stanley Kubrick.

Die Schwestern rezipieren dadurch den kritischen Zeitgeist, wie den Protest gegen den Vietnamkrieg, und verarbeiten das Gesehene wiederum ihrer Zeit gemäß. Sie beschließen, ihre Apparatur in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Zuerst senden die engagierten Frauen nur Aufrufe an die britische Zivilbevölkerung. Nachdem aber das Militär ihren Sender ausgehoben hat, hören sie mit dem Offizier Sebastian Holloway täglich den Militärfunk des zukünftigen nächsten Tages ab, um die deutschen Streitkräfte zu besiegen. Das verändert nicht nur das Leben der Schwestern, sondern auch die Geschichte.

Mit „Lola“ hat Andrew Legge eine äußerst geistreiche Dystopie geschaffen. Sie bewegt sich mit ihren Themen nicht nur auf mehreren Ebenen, stimuliert das Nachdenken, sondern beeindruckt auch durch ihre schlüssige, rhythmische, die Sinne ansprechende Form, sie swingt – für die Musik ist Neil Hannon verantwortlich. So lässt der Regisseur die Geschichte der Schwestern von der künstlerisch interessierten Martha erzählen, die mit ihrer Kamera das Geschehen dokumentiert. Er webt in die schwarz-weißen Bilder mit der Aura von gealtertem Filmmaterial geschmeidig historisches Archivmaterial und erfundene Zeugnisse ein. Die Form eines fiktiven kritischen Porträts erlaubt ihm zu reflektieren: Wozu dient Kunst, wozu Wissenschaft? Was können beide überhaupt leisten, wenn sich Größenwahn mit ihnen verbindet?

Fulminante Auseinandersetzung

Doch vor allem ist „Lola“ eine fulminante Auseinandersetzung mit dem 20. Jahrhundert als Zeitalter der elektronischen Massenmedien. Durch die blitzgescheite Verzahnung von Zweitem Weltkrieg und den 1960er und 1970er Jahren macht der Regisseur ihre Mechanismen durchsichtig. Ihre Botschaften streuen rasant, sie verbreiten aber nicht nur liberale Haltungen, sondern man setzt sie auch als Propagandainstrument ein, sie manipulieren, sind manipuliert, auch von Andrew Legge, zudem handelt es sich um ein Riesengeschäft. Ikonische Bilder und Musik spielen dabei eine zentrale Rolle, bilden im Film ein Geflecht von schlagkräftigen, vorwärts und rückwärts verweisenden Zeichen mit Wiedererkennungswert, die ständig mit neuen Inhalten gefüllt werden können. So bezieht sich etwa die Bildkomposition am Ende auf Stanley Kubricks Schlussbild in „Shining“.

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