Hitlers Geburtshaus oder die Feigheit vor der Auseinandersetzung

19451960198020002020

Brigitte Quint über Denkverbote Teil II., Österreichs Schreckensgemäuer und die eigene Demaskierung.

19451960198020002020

Brigitte Quint über Denkverbote Teil II., Österreichs Schreckensgemäuer und die eigene Demaskierung.

Werbung
Werbung
Werbung

Jüngst hatte ich an dieser Stelle des Kanzlers Lieblingssager „Es gibt keine Denkverbote“ moniert. Mein Argument: Weil der Mensch sich nur selbst verbieten kann, was er denkt, sollte er das auch tun – damit sich zweifelhafte Gedanken nicht nach draußen Bahn brechen.

Nun schreibt mir ein Leser; fordert mich heraus. Er will, dass ich meine Meinung zu Hitlers Geburtshaus kundtue – also dazu, was mit diesem geschehen soll. Ein Appell, der mich demaskiert hat. Dazu später. „Es gibt keine Denkverbote.“ Damit schlawinert sich Nehammer durch, dann muss er keine Stellung beziehen. Eines Kanzlers unwürdig – finde ich. Aber was weiß ich.

Ab Tag eins meiner Journalistenlaufbahn habe ich immer wieder E-Mails erhalten, in denen ich dazu aufgefordert wurde, einen Artikel über Hitlers Geburtshaus zu verfassen. Dazu gekommen ist es nie. Meist betreute einer der Kollegen das Thema federführend. Ich gestehe: Ich war stets heilfroh, wieder einmal davongekommen zu sein. Womit ich beim Demaskieren wäre.

Kann man nicht einfach alles falsch machen, wenn man sich zu Hitlers Geburtshaus äußert? Oder schreibe ich mich ausgerechnet mit diesem Satz um Kopf und Kragen? Als die Idee mit der Polizeistation aufkam, war ich fast erleichtert. Endlich gibt es eine Lösung für dieses Schreckensgemäuer, dachte ich pragmatisch. Was mich disqualifiziert. Sollte ich stattdessen wie so manche dafür plädieren, das Bauwerk abzureißen, an seiner Stelle ein „Mahnmal der Schande“ zu errichten? Ich kann allerdings auch dem Vorschlag etwas abgewinnen, auf dem Grundstück einen unzugänglichen Wald zu pflanzen. Gegenargumente gibt es für beides.

Und die ehemalige Besitzerin, so hört man, ist ob der Enteignung empört. Muss mich das empören? Ich bin kein Fan von Empörungsjournalismus. Darf ich das so schreiben? In einem Text, in dem ich Hitlers Geburtshaus thematisiere?

Lieber Leserbriefschreiber, Sie sehen, ich kann mich zur Causa nur unangemessen äußern. Weil ich mich weggeduckt habe. Ich fürchte, da bin ich nicht allein. Warum sonst hätte sich der Gedanke mit der Polizeistation nach draußen Bahn brechen können?

Lesen Sie hierzu die Quint-Essenz: "Politische Biologie" oder "Wenn Brüche heilen".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung