Seite 8 - © Foto: Rainer Messerklinger

„Junischnee“: Trauma durch Trennungen

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Ljuba Arnautović legt mit „Junischnee“ einen zutiefst bewegenden, von der Geschichte ihrer eigenen Familie inspirierten Roman vor.

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Ljuba Arnautović legt mit „Junischnee“ einen zutiefst bewegenden, von der Geschichte ihrer eigenen Familie inspirierten Roman vor.

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Als Mitglied des Wiener Republikanischen Schutzbunds schickt Eva ihre beiden Söhne Slavko und Karli nach Moskau, um sie vor dem Nationalsozialismus in Sicherheit zu bringen. Doch mit der anfänglich fürsorglichen und beinahe privilegierten Behandlung ist es vorbei, als Hitler den Nichtangriff spakt mit Stalin aufkündigt.

Die beiden Brüder verlieren sich aus den Augen; Karli, der jüngere, durchlebt alle Schikanen des Stalinistischen Terrorregimes: Straßenkind, Kinderheime, Besserungsanstalten und schließlich 10 Jahre im Gulag. Dort lernt er Nina kennen und kehrt schließlich mit ihr nach Wien „zurück“. Doch Nina bleibt im Wien der Nachkriegszeit eine Fremde.

Ein Tauziehen um die beiden Töchter beginnt, und es wird klar, wie sehr die durchlebten Traumata Karlis Handeln weiterhin prägen und in die kommende Generation hineinwirken. So bringt er Slawoljub – in der unschwer die Autorin Ljuba Arnautović zu erkennen ist – und deren jüngere Schwester Lara lieber in ein Heim, als sie mit der Mutter in deren Heimatstadt zurückkehren zu lassen. Das Gesetz steht dabei auf seiner Seite.

Hartnäckig verfolgt er seine Rehabilitierung, die nach 35 Jahren erfolgt. Ebenso lang braucht er, um in Erfahrung zu bringen, dass Slavko in einem Lager verhungert ist. Ein Austausch mit anderen über die Erfahrungen ist nicht möglich: „die Partei ist größer als der einzelne“ – diese Haltung lässt ein Aussprechen des Unfassbaren nicht zu.

Die sachliche Schilderung, die nicht urteilt, der klare sprachliche Duktus, die Einbettung in die historischen Bezüge, das Einflechten von Originaldokumenten: All dies lässt erahnen, wie sehr die Autorin um eine angemessene Form für diese Geschichte, die der Anfang ihrer eigenen Geschichte ist, gerungen hat. Entstanden ist mit „Junischnee“ ein zutiefst bewegender Roman über das Trauma durch Trennungen, den Schmerz des Schweigens und über das Fremdsein nach der Rückkehr.

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