Seite 3 - © Foto: Rainer Messerklinger

Olga Flor und Daniel Wisser: Ganz schön politisch

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In den jüngsten Romanen von Olga Flor und Daniel Wisser stehen die gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Prüfstand.

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In den jüngsten Romanen von Olga Flor und Daniel Wisser stehen die gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Prüfstand.

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Wenn Literatur und Politik ein Verhältnis miteinander eingehen, kann das fragwürdige Folgen zeitigen. In unangenehmer Erinnerung bleibt, wie sich Literaten von Regierungen instrumentalisieren ließen oder wie sich selbst namhafte Autorinnen und Autoren freiwillig auf die Seite der Macht schlugen. Im Abstand von Jahren und Jahrzehnten, wenn ihnen selbst ihre Verirrungen peinlich geworden sind, erweist sich, dass auch kritische Köpfe wie Thomas Mann („Betrachtungen eines Unpolitischen“) vor blindem Gehorsam nicht gefeit sind. Mit Schrecken erinnert man sich an Intellektuelle, die sich gegenseitig in Kriegsbegeisterung übertrafen und im Ersten Weltkrieg geistige Mobilmachung betrieben. Sobald sich Literatur auf eine Ideologie beruft, begeht sie Verrat an der ästhetischen Qualität. Das lässt sich gut nachweisen an manchen Stücken von Bertolt Brecht, die über das Rechthabenwollen nicht hinauskommen.

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Gewöhnlich verfährt die österreichische Literatur etwas vorsichtiger, sobald sie politisch wird. Joseph Roth bezog Position, platt wurde er nie. Elfriede Jelinek weiß, auf welcher Seite sie zu stehen hat, verhehlt das nie, sie attackiert und provoziert und stellt die Torheit und Perfidie der Macht in Sprachexzessen aus. In beiden Fällen handelt es sich um eine parteiliche Form von Literatur und nicht um Parteiliteratur. In den jüngsten Veröffentlichungen von Olga Flor und Daniel Wisser stehen unsere gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie durch die Politik verantwortet werden, auf dem Prüfstand. Dabei darf es subtil zugehen, denn Wisser wie Flor halten von einfachen Wahrheiten gar nichts. Sie bleiben nah an österreichischen Zuständen, die sie augenzwinkernd kommentieren. Das ist erfrischend zu lesen, eine Menge über das Land erfährt man obendrein.

Daniel Wisser und Olga Flor sind bei all ihrer Verschiedenheit im sprachlichen Zugriff und der formalen Gestaltung nicht weit voneinander entfernt.

In ihrem neuen Roman „Morituri“ zieht sich Olga Flor aufs Land zurück. Damit verschafft sie sich den Vorteil, auf überschaubarem Raum ein paar Leute ins Auge zu fassen, die für Österreich in all seiner Durchtriebenheit stehen. Die Bürgermeisterin, ein aus der Stadt Zugezogener, das Ehepaar, das längst getrennte Wege geht, kommen zu Wort, sprechdenken in eigener Sache, gewähren Einsicht in das, was sie umtreibt. Hier, im Gespräch mit sich selbst, geben sie sich unverstellt, bricht das gemeinhin Verschwiegene durch. Eine Politik der Mauschelei betreibt die Bürgermeisterin, die immerhin aus dem Dorf etwas machen will. Dazu bedarf es der Investoren, bei deren Auswahl strenge Maßstäbe nicht gelten dürfen. Natürlich weiß das die Bürgermeisterin, der etwas mulmig wird, wenn sie an die „Sache mit dem Vorschalten dieser Großbank“ denkt, eine „russische staatsnahe Großbank mit Sitz auf Malta“. Klingt nicht gut, aber „sie war schließlich Bürgermeisterin, nicht die Finanzaufsicht“. Sie ist die Macherin, während sich Maximilian, der Mann aus der Stadt, den man – trotz all seiner Bemühungen dazuzugehören – spüren lässt, dass er von außen kommt, nur noch treiben lässt.

Ein Klima der Verschworenheit und Packelei herrscht in der tiefen Provinz, wo jeder über jeden Bescheid weiß, wo man bei allen Differenzen miteinander unter einer Decke steckt. Das Denken jedenfalls hat sich Maximilian nicht abgewöhnt, was ihn zu unfreundlichen Einsichten führt. Ihm fällt die „Kameradschaftsbundjugend“ im Wirtshaus auf, ein heillos rückwärtsgewandter Trupp, und er stellt beklemmende Zusammenhänge her: „Bei genauerem Nachdenken ist es auch wenig überraschend, dass die Bioszene plötzlich von Rechten infiltriert wird, dass da Linksaußen und Rechtsaußen hintenrum wieder zusammenkommen.“

Wie Jelinek räumt auch Flor mit Idyllenvorstellungen auf. Sie macht das nicht wutentbrannt und schmerzverzerrt, setzt mehr auf Ironie und Knappheit, stichelt in heiterer Bosheit. Was Hans Lebert („Die Wolfshaut“) oder Gerhard Fritsch („Fasching“) für die Nachkriegsliteratur leisteten, schafft Olga Flor für das Zeitalter der globalisierten Unübersichtlichkeit. Ein Dorf, in dem noch Ordnung herrscht, das ist ein Fake für Zurückgebliebene, die nur zu faul sind, sich Informationen zu beschaffen.

Wer von Österreich redet, kommt um die Sozialdemokratie nicht herum. Sie war eine Macht, die das Volk auf seiner Seite hatte und das Land umkrempelte. Das war einmal, gegen populistische Radaubrüder hatte sie langfristig keine Chance. Victor Jarno ist anders. Schon der Name Victor ist Programm! Hier steht einer in der Nachfolge Victor Adlers. Er bleibt seiner Partei treu, hält die Familientradition aufrecht, die sich seit der Kaiserzeit sozialistischen Ideen verbunden fühlt. Mit seiner Sturheit nimmt er eine Sonderstellung in einer wankelmütig gewordenen Welt ein.

Daniel Wisser setzt sich in seinem jüngsten Roman „Wir bleiben noch“ mit der großen Geschichte einer politischen Tradition auseinander, verkörpert in einem, der nicht mit den Wölfen heult. Victor geht auf Abstand zu seiner Zeit, führt überhaupt ein Leben, das anstößig wirkt auf jene, die sich in Einklang sehen mit dem Geist der Zeit. Ein Sozialdemokrat, so lässt sich Wisser verstehen, ist ein sperriger Charakter, was sich schon im Lebenswandel erweist. Wenn Victor mit seiner Cousine eine ernsthafte Beziehung eingeht, katapultiert er sich aus dem Moralraum des Schicklichen. Das Private wird unversehens politisch. Diese Liebe hat Verweischarakter: So unverstanden diese bleibt, so allein steht Victor als aufrechter Sozialdemokrat im heutigen Österreich.

Dabei unternimmt Wisser alle Anstrengungen, um Victor nicht als Mann von gestern aussehen zu lassen. Ihm gehört seine Sympathie, zumal Außenseitern sowieso in der Literatur Gerechtigkeit widerfährt. Seine Haltung wird begründet, immerhin setzt er sich mit seiner Zeit und der Geschichte der Partei auseinander. Das unterscheidet ihn von den Windfähnchen, die unüberlegt ihre Entscheidungen treffen. Breiten theoretischen Reflexionen geht Wisser aus dem Weg. Seine Überzeugungskraft kommt aus dem Erzählerischen, wenn er in Geschichten und Anekdoten auflöst, was schiefläuft. Er analysiert nicht, er zeigt, was der Fall ist.

Die Romane von Daniel Wisser und Olga Flor sind bei all ihrer Verschiedenheit im sprachlichen Zugriff und der formalen Gestaltung nicht weit voneinander entfernt. Folgende Aussage einer Ghostwriterin aus Flors Roman müsste Victor unmittelbar einleuchten: „Doch andererseits feiert die offensive Dummheit gerade ungeahnte Siegeszüge in der Publikumsgunst, nicht zum ersten Mal.“ Nicht zum ersten Mal! Gerade das sollte Victor hellhörig machen, der über die Geschichte der oft absturzbedrohten Sozialdemokratie Bescheid weiß. Und wenn Victor eine Replik von Günther Anders auf Karl Kautsky liest, darf sich Olga Flors Maximilian, der sich einen strengeren Geist bewahrt, bestätigt fühlen: „Machen wir uns nichts vor! Die Millionenmasse denkender Arbeiter und klassenbewusster Proletarier, mit denen wir zu rechnen gewohnt waren, gibt es nicht mehr.“ Auch hier eine selbstzufriedene Gesellschaft ohne geistige Ansprüche. Erschreckend in beiden Fällen.

Morituri - © Jung und Jung Verlag
© Jung und Jung Verlag
Literatur

Morituri

Roman von Olga Flor
Jung und Jung 2021
208 S., geb., € 22,–

Wisser - © Luchterhand Verlag
© Luchterhand Verlag
Literatur

Wir bleiben noch

Roman von Daniel Wisser
Luchterhand 2021
478 S., geb., € 22,70

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