Zehnfingermärchen

„Zehnfingermärchen“ von Manuela Tomić: Panorama der Neunzigerjahre

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Unter dem Titel „mozaik“ erscheinen sie alle zwei Wochen in der FURCHE, nun sind die „Kolumnen“ von FURCHE-Redakteurin Manuela Tomić auch als Buch zu lesen: „Zehnfingermärchen“. Mit schwarzem Humor begegnet Tomić den Themen Flucht und Identität.

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Unter dem Titel „mozaik“ erscheinen sie alle zwei Wochen in der FURCHE, nun sind die „Kolumnen“ von FURCHE-Redakteurin Manuela Tomić auch als Buch zu lesen: „Zehnfingermärchen“. Mit schwarzem Humor begegnet Tomić den Themen Flucht und Identität.

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Gott sei Dank gibt es Zeitungen. Wo wäre sonst Platz für die Kunst der Kolumne? „Kleine Prosa“ ist der zu Unrecht bescheidene Untertitel dieses Bands von FURCHE-Redakteurin Manuela Tomić. Er enthält die Texte, die unter dem Titel „mozaik“ alle zwei Wochen in der FURCHE erscheinen und genau das sind: ein großes Ganzes in Einzelteilen. Hier wird der Spielplatz „Kolumne“ mit seiner Off enheit in Richtung literarischer Zyklus bestmöglich genutzt.

„In der ersten Schulklasse stammelte ich“, so beginnt diese Saga eines Kindes, das aus Bosnien stammt und mit noch nicht ganz sieben Jahren in eine Kärntner Schule gesteckt wurde. „Die Zunge zauderte“: Durch all die Blitzlichter, die sich zu einer Collage fügen, zieht sich diese poetische Bewegung – vom Hindernis zur sprachlichen Möglichkeit. Tomić nutzt die Zwischenräume, schafft ein Kippbild zwischen dem Da und dem Dort, leichtfüßig, die Tür zum Surrealen angelehnt und mit herrlicher Selbstironie. In einem der Texte lesen wir vom Scheitern der werdenden Journalistin, als sie eine Kollegin nach Sarajevo begleitet. Das Fazit am Ende der Seite, nämlich: „Ich korrespondiere lieber im Inland mit meinem ausländischen Selbst“, benennt punktgenau das ästhetische Programm dieses Kolumnenkosmos.

Der Krieg, der den Umzug ins neue Leben nach Österreich notwendig machte, ist im Hintergrund immer präsent. Wir lesen ihn mit: im mit Festtagsessen gefüllten Kühlschrank, der zurückgelassen werden muss, in den Dinaren, die Großvater Ivo müde schlichtet. Gleichzeitig öff net sich hier ein Panorama der 1990er Jahre, das vielen bekannt vorkommen wird: das Amalgam im „elfjährigen Mäulchen“, die „militante Turntante“, Gameboy und Bravo – und das Liederbuch „Komm, sing mit“ samt „Mannesmut“, damals unhinterfragt. Das alles liest sich schwerelos, als würde weder Mühe dahinterstecken noch die Zumutung des Erlebten. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich die Komponente, die diese Leichtigkeit erzeugt: in jedem Text setzt sich die Erzählerin in Beziehung zu anderen. Es sind Einlassungen des sanften Wunderns, aber vor allem Zuneigung zu allem Menschlichen.

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