Booklet Aufmacher Daphne mezereum - © Foto: iStock/ZU_09

Feministische Aufbrüche: Neues von Fallwickl, Sargnagel, Klemm und Gollackner

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Die Geschlechterverhältnisse sind nach wie vor nicht egalitär. Neue Prosa von Mareike Fallwickl, Gertraud Klemm, Stefanie Sargnagel und Lilly Gollackner macht aber auch die Differenzen zwischen diversen Feminismen sichtbar.

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Die Geschlechterverhältnisse sind nach wie vor nicht egalitär. Neue Prosa von Mareike Fallwickl, Gertraud Klemm, Stefanie Sargnagel und Lilly Gollackner macht aber auch die Differenzen zwischen diversen Feminismen sichtbar.

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Was passiert, wenn sich Frauen still auf Plätze in einer Stadt legen und nichts mehr tun? Welche Bruchlinien gibt es zwischen fünf Frauen in einer Wohngemeinschaft verschiedener Generationen? Wie sieht im Jahr 2068 in einer nahezu unbewohnbaren Welt ein Zusammenleben ohne Männer aus? Wie erleben zwei feministische Künstlerinnen die amerikanische Provinz?

Das sind Fragen, die in den jüngsten Büchern österreichischer Schriftstellerinnen auf ganz unterschiedliche Art und Weise verhandelt werden. Was Mareike Fallwickl, Gertraud Klemm, Lilly Gollackner und Stefanie Sargnagel verbindet, ist die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Gesellschaft, in der die Geschlechterverhältnisse nach wie vor nicht egalitär sind, aber auch die Differenzen zwischen den diversen Feminismen immer größer werden.

An einem Sonntag beginnt die Revolte.

Widerstand und Revolte

Schon in Mareike Fallwickls Bestseller „Die Wut, die bleibt“ war Care-Arbeit zentrales Thema. Helene stürzt sich vom Balkon, ihre drei Kinder und ihr Mann können den Alltag nur bewältigen, weil die beste Freundin der Mutter ihre Rolle übernimmt. Bei Tochter Lola wird Wut zum stärksten Gefühl. In ihrem neuen Roman „Und alle so still“ entwirft Fallwickl ein ungewöhnliches Szenario des Widerstands und der Revolte. Wieder steht die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit im Mittelpunkt. Dazu sind Frauen vor allem im geringer bezahlten Dienstleistungssektor beschäftigt und angesichts des Personalmangels zumeist überfordert. Sieben Wochentage von Freitag bis Freitag markieren die Kapitel, in denen jeweils drei titelgebende Figuren begleitet und zusammengeführt werden: Elin, eine Influencerin Anfang zwanzig, Nuri, ein neunzehnjähriger Schulabbrecher, der in mehreren prekären Arbeitsverhältnissen vom Barkeeper bis zum Fahrradkurier jobbt, und Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegekraft im Krankenhaus arbeitet.

An einem Sonntag beginnt die Revolte: Einige Frauen, darunter Elins Großmutter, legen sich vor dem Eingang des Krankenhauses, in dem Ruth arbeitet, auf den Platz. Sie sind vollkommen still und lassen sich von der Polizei wegtragen. Täglich werden es mehr Frauen verschiedener Generationen, die sich vor einer Schule, vor einem Spielplatz und an anderen öffentlichen Orten hinlegen und ihre jahrzehntelange Arbeit in Familie und Beruf niederlegen. Der Krankenhausbetrieb bricht zusammen, sie besetzen Häuser, bilden solidarische Gemeinschaften. Die Männer reagieren mit Gewalt gegen die Frauen und mit Zerstörung. Als einzige männliche Heldenfigur solidarisiert sich Nuri mit den Frauen, er rettet seine Mutter.

Die Idee der Verweigerung von Frauen in allen Lebensbereichen hat Potenzial, aber leider gelingt Fallwickl keine differenzierte literarische Darstellung. Die Implosion der Revolte schon nach drei Tagen wirkt unglaubwürdig. Es ist kaum vorstellbar, dass das Leben einer Stadt so schnell zusammenbricht. Auch die holzschnittartige Zeichnung der Figuren und die Spaltung in männliche Gewalt (mit Ausnahme von Nuri) und weibliche Solidarität tragen nicht zum Gelingendes interessanten Gedankenexperiments bei, das in ein triviales Happy End steuert. Der positive Schluss signalisiert, dass für junge Frauen die Zukunft offen ist, und das garantiert wohl viele Leserinnen.

Und alle so still Cover - © Cover: Rowohlt
© Cover: Rowohlt
Literatur

Und alle so still

Roman
von Mareike Fallwickl
Rowohlt 2024
368 S., geb., € 23,70

Neuer und alter Feminismus

Gertraud Klemm zählt zu den wichtigsten feministischen Stimmen in Österreich. In ihrem jüngsten Roman „Einzeller“ seziert sie die diversen Feminismen von fünf Frauen verschiedener Generationen der Frauenwohngemeinschaft „Bienenstock“ mit trockenem Witz und Selbstironie. Aus der Perspektive der beiden Hauptfiguren, der ehemaligen Lehrerin und feministischen Aktivistin Simone Hebenstreit und der jungen Studentin der Volkswirtschaft Lilly, die ihre Position als Frau erst suchen muss und die schließlich in die Falle der Mutterschaft und einer Gewaltbeziehung gerät, werden entgegengesetzte feministische Positionen verhandelt.

Simone und Eleonore sind seit Jahrzehnten ein „Wohnpaar“, die 34-jährige Witwe Maren, die Juristin und Scheidungsanwältin Flora sowie Lilly komplettieren die Wohngemeinschaft. Es ist Wahlkampf, die rechten und konservativen Parteien sind im Aufwind, versprechen Muttergeld bis zum Schuleintritt und Geburtenprämien, sie wollen Abtreibungen erschweren. Alle WG-Bewohnerinnen sind gegen diese Forderungen, aber sie vertreten innerhalb des Feminismus diverse Positionen, die bei ihrer Mitwirkung in der Reality-TV-Show „Big Sista“, für die sie sich entschieden haben, zu Wortgefechten vor der Kamera führen, vor allem zwischen Lilly und Simone als Repräsentantinnen von neuem und altem Feminismus.

Was schon der Buchtitel 'Einzeller' signalisiert, ist die schmerzliche Tatsache, dass das Verhalten von Einzellern ohne Solidarität keinen gemeinsamen Widerstand gegen Frauenfeindlichkeit ermöglicht.

Simone Hebenstreit ist eine öffentliche Figur, sie ist gegen das Gendern und das „woke Erbsenzählen“, solidarisiert sich nicht mit „Kopftuchfrauen“ und Sexarbeiterinnen, hat aber eine Affäre mit dem konservativen Finanzminister, ihrer Jugendliebe. In den sozialen Medien wird sie nicht nur von Männern, sondern auch von jüngeren Frauen, von trans und queeren Aktivisten mit Hass und Gewalt bedroht. Den österreichischen Frauenpreis kann sie am Ende nicht mehr entgegennehmen. Was schon der gelungene und etwas rätselhafte Buchtitel „Einzeller“ signalisiert, ist die schmerzliche Tatsache, dass das Verhalten von Einzellern ohne Solidarität keinen gemeinsamen Widerstand gegen Frauenfeindlichkeit ermöglicht und die derzeitige Identitätspolitik keine demokratische Zukunft verspricht.

Einzeller Cover - © Cover: Kremayr und Scheriau
© Cover: Kremayr und Scheriau
Literatur

Einzeller

Roman
von Gertraud Klemm
Kremayr und Scheriau 2023
308 S., geb., € 24, –

Welt ohne Männer

Der Debütroman „Die Schattenmacherin“ von Lilly Gollackner führt uns von den feministischen Kämpfen der Gegenwart in eine dystopische Zukunft. Wir befinden uns im Jahr 2068 in einer Welt ohne Männer oder „Androtoken“, wie sie im Roman genannt werden. Sie sind nach einem Krieg zwei Jahrzehnte zuvor einer mysteriösen Seuche zum Opfer gefallen. Nur die künstliche Fortpflanzung sichert den Fortbestand der rund 280.000 Frauen. Doch diese bilden keine solidarische und liebevolle Gemeinschaft, wie sie von Mareike Fallwickl erträumt wird, sie ist geprägt von Kämpfen um Macht und knappe Ressourcen für das Überleben.

Die Ansichten und Kämpfe zwischen alten und jüngeren Frauen über die Zukunft spitzen sich zu, und schließlich geht es um Leben und Tod.

Angesichts sengender Hitze und Wasserknappheit ist ohnehin nur mehr ein kleiner nördlicher Teil der Erde unter schwierigen Bedingungen unter Kuppeln bewohnbar. An der Spitze steht die autokratische Herrscherin Ruth, die aus Altersgründen von der jungen, ambitionierten und neugierigen Ania abgelöst werden soll, die erst geboren wurde, als es keine Androtoken mehr gab. Sie will von Ruth wissen, welche Fortschritte die Rekonstruktion von Androtoken macht, da sie gerne einen Sohn hätte. Doch Ruth hat kein Interesse daran, da Männer im Krieg Ruths Kind getötet haben und gewalttätig sind. Sie seien ein „Fehler der Natur“, der drohte, „den Planeten in den Abgrund zu stürzen“.

Die Ansichten und Kämpfe zwischen alten und jüngeren Frauen über die Zukunft spitzen sich zu, und schließlich geht es um Leben und Tod. Im Epilog wird dann der Sieg der Jungen gefeiert, es gibt Mädchen und Buben, die gemeinsam und friedlich aufwachsen. Wie die Mutation der Androtoken gelungen ist und die Autokratie beendet wurde, bleibt ein Geheimnis und die Frage offen, was uns die Autorin eigentlich erzählen möchte.

Die Schattenmacherin  - © Cover: Kremayr und Scheriau
© Cover: Kremayr und Scheriau
Literatur

Die Schattenmacherin

Roman
von Lilly Gollackner
Kremayr und Scheriau 2024
198 S., geb., € 24,–

Frauenfreundschaft auf Augenhöhe

Zwei Generationen von Frauen stehen im Zentrum von Stefanie Sargnagels neuem Buch „Iowa“, in dem sie ihren „Ausflug nach Amerika“ ebenso lakonisch wie unaufgeregt protokolliert. Sie soll am privaten Grinell College Creative-Writing-Kurse abhalten und hat, weil sie nicht gerne allein reist, die Berliner Musiklegende Christiane Rösinger mitgenommen, die am College ein Konzert geben wird. Sargnagel, Ende dreißig, zählt zu den Millennials, deren Blick auf die Welt von den digitalen Medien geprägt ist und die sich mit ihrem Kinderwunsch herumschlagen, die rund sechzigjährige Rösinger zur pragmatischen Generation der Boomer, die als Mutter dreier Kinder für das Alleinleben plädiert. Beide kämpfen sie mit ihrem jeweiligen Alter, und Rösinger, die sich immer wieder mit „korrigierenden Fußnoten“ in den Text Sargnagels einmischt, ist unangenehm berührt, wenn sie für „Steffis“ Mutter gehalten wird.

Ihr 'Ausflug nach Amerika' ist eine gelungene Roadstory über die amerikanische Provinz, voller Komik und Empathie für Menschen und für Kuriositäten

Sargnagel bewegt sich als Ethnologin durch das ländliche Iowa und vergleicht ihre Eindrücke immer wieder mit Erinnerungen an Fernsehserien wie die „Simpsons“ oder die Realityserie „Real Housewives of Beverly Hills“. Ihr „Ausflug nach Amerika“ ist eine gelungene Roadstory über die amerikanische Provinz, voller Komik und Empathie für Menschen und für Kuriositäten wie etwa die „Outdoor World“ der Stadt Des Moines, ein Disneyland für Jagdbegeisterte. „Iowa“ ist aber auch ein Plädoyer für eine respektvolle Frauenfreundschaft auf Augenhöhe, die Distanz bewahrt und Differenz akzeptiert, und die schonungslose Selbsterkundung einer Feministin mit all ihren Widersprüchen: „Weiblichkeit ist ein Schauspiel, das ich nicht beherrsche.“

Iowa Cover - © Cover: Rowohlt
© Cover: Rowohlt
Literatur

Iowa

Ein Ausflug nach Amerika
von Stefanie Sargnagel
Rowohlt 2023
301 S., geb., € 22,70

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